Katharsia (German Edition)
zu geben. Doktor Fasins Fernschöpfung, die so viel Retamin kostete, musste gelingen, was immer daraus entstehen sollte.
Auch die Seelen, so bemerkte Sando, warfen begehrliche Blicke auf die Wolke. Der Junge bewunderte die eiserne Disziplin, die sie davon abhielt, sich wie eine wilde Meute auf den Stoff zu stürzen, den manche von ihnen schon seit Jahrhunderten begehrten. Noch hielt die gespenstische Wand aus Augen. Doch Sando wusste aus eigener Erfahrung, dass ein Zeichen genügte, um einen unaufhaltsamen Sturm zu entfesseln.
Langsam kam Bewegung in die Retaminwolke. Sando hatte inzwischen einen Blick dafür. Bald drehte sich die Riesenmasse schwerfällig um die eigene Achse. Doktor Fasin schwitzte unter seiner Haube. Sein Gesicht war rot angelaufen, doch er wandte keinen Blick von der Wolke, deren Rotationsgeschwindigkeit wuchs und wuchs.
Die Seelen! Sie bewegten unruhig die Augen, versuchten, das Tempo der Drehbewegung zu verfolgen. Sando hatte den Eindruck, dass der Bann, der sie zusammenhielt, bald brechen würde. Doch sie blieben in der Formation.
Jetzt ist es zu spät für sie , dachte Sando, als der Riesenkreisel begann, Gestalt anzunehmen.
Das Ergebnis sorgte unter den Mitstreitern des Doktors für Sprachlosigkeit. Und Sando fühlte sich an den Tag seiner Ankunft in Katharsia zurückversetzt: Im Wüstensand neben der Syntheseanlage stand auf wuchtigen Elefantenbeinen eine Echse, groß wie die von Stadlmeyr, mit schimmerndem Schuppenpanzer und kreiselnden Telleraugen.
„Ist es das, was Sie wollten?“, fragte Jamal al Din ratlos.
Der Doktor nahm die Haube ab und antwortete abgespannt: „So ist es.“
„Und was … bitte … kann das Tier?“
„Unser Gegner ist ausschließlich mit Laserwaffen ausgerüstet. Dieses Tier ist immun dagegen.“
„Wie das?“
„Seine Haut besteht aus unzähligen speziellen Spiegeln, die das Laserlicht zurückwerfen. Für den Schützen wird dieses Tier zum Bumerang, ganz gleich, ob er aus der Luft oder vom Boden aus feuert.“
Sando erinnerte sich an den Ritt auf Stadlmeyrs Echse. Ein faszinierendes Gefühl! Er war sich vorgekommen wie auf einem sanft schwankenden Hochhaus, so weit hatte er ins Land sehen können. Gefährlich war das Tier, so dachte er bisher, vor allem durch seine lange Zunge gewesen, mit der es sogar den Hubschrauber des KORE eingefangen hatte wie ein Insekt. Aber die Haut?
„Hatte Stadlmeyrs Echse auch so eine Spiegelhaut?“
„Ja. Er hat das Chamäleon nach meinen Plänen geschaffen. Leider war er so dumm, sich damit zu brüsten. Wie es ausging, weißt du ja. Ein Jammer um das schöne Tier! Wir hatten bei der Beseitigung der Überreste alle Hände voll zu tun, dass die Gefahrenabwehr nicht seine wahre Bestimmung entdeckte.“
Die anfängliche Skepsis der Offiziere war gewichen, ihr Interesse geweckt.
„Wir könnten mehr von diesen Tieren gebrauchen“, war nun die einhellige Meinung.
„Das sehe ich auch so“, sagte Doktor Fasin. „Alles hängt jetzt an einer stabilen Retaminproduktion.“
DER GRAF
Ein Summen ließ die Anwesenden in der Kommandozentrale aufhorchen. Die Flügel der großen Saaltür öffneten sich. Durch den immer breiter werdenden Spalt drang helles Licht in den abgedunkelten Raum.
„Wer wagt es, unangekündigt diese Runde zu stören?!“, rief Doktor Fasin aufgebracht.
Der Schatten eines Mannes fiel herein, verharrte zunächst reglos, um sich dann gemessenen Schrittes in Bewegung zu setzen. Wenige Sekunden später tauchte im Gegenlicht die schwarze Silhouette der dazugehörigen Gestalt auf. Aufrecht schritt sie herein – ein Mann, der es gewohnt war, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Ihm drängte ein Haufen wüster Gestalten nach, in schweren Stiefeln trampelnd, die Wämser zerschlissen, die Bärte gerupft, weiße Kreuze auf der Brust und bis an die Zähne bewaffnet mit Spießen, Schwertern und Morgensternen. Aber auch mit Lasergewehren und Seelensaugern waren sie behängt.
Offenen Mundes bestaunten die Auserwählten um den künftigen Präsidenten Katharsias den Einzug dieser barbarischen Truppe. Djamila stieß einen Angstschrei aus. Ihre Augen drehten ins Weiß. Gerade noch rechtzeitig gelang es der herbeispringenden Maria, sie aufzufangen, bevor sie ohnmächtig zu Boden fiel. Hinter der Panzerglasscheibe hatte es Ben aus dem Rollstuhl gerissen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht, den Kopf gegen die Scheibe gelehnt, stand er da und starrte gemeinsam mit Gregor fassungslos auf das wiedererstandene
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