Katharsia (German Edition)
seiner Telleraugen auf ihn aus. Sando wusste aus Erfahrung, dass er sich bereits im Aktionsradius der Zunge befand. Sollte sie aus dem Maul des Chamäleons herausschnellen, wäre er verloren.
Mit gemischten Gefühlen lief er weiter, versuchte, möglichst ruhig zu wirken und hastige Bewegungen zu vermeiden. Ob diese Strategie bei diesem Monster etwas taugte, wusste er nicht. Vielleicht reagierte es auch auf ganz andere Dinge aggressiv, zum Beispiel auf den Glanz seines Schutzanzuges.
Nur nicht verrückt machen lassen , sagte er sich.
Lemming holte ihn ein. Seine Stimme schnappte fast über vor Mitteilungsbedürfnis.
„Du hattest Recht, Sando!“, zirpte er. „Dort draußen befindet sich ein Heerlager! Und die Gestalten! Denen möchte ich nicht im Dunklen begegnen. Es ist ein Sammelsurium von Leuten aus aller Herren Länder. Europäer, Schwarze, Araber, Asiaten. Mich wundert, dass sie sich nicht gegenseitig totschlagen, so verschieden sind sie. Aber wie es aussieht, putzen sie in schönster Eintracht ihre Waffen und bereiten sich auf die Schlacht vor!“
„Wolfenhagens Kämpfer!“, sagte Sando. „Sie hören nur auf ihn!“
„Du musst den Doktor warnen!“, zischelte Lemming aufgeregt. „Sieh zu, dass du schnell in die Festung kommst!“
„Ich beeile mich ja schon“, gab Sando zurück. „Ich möchte nur nicht dieses Urvieh aufschrecken. Im Gegensatz zu dir als Geist kann es mich mit einem Zungenschlag in einen seiner hohlen Zähne stopfen.“
„Woher willst du wissen, dass es hohle Zähne hat?“, zirpte Lemming grinsend.
Sando winkte ab. „Intakte Beißer machen die Sache auch nicht besser.“
Argwöhnisch beäugt von dem Chamäleon waren sie schließlich am Pavillon angekommen. Sando wollte eben hineinschlüpfen, als ihm Mike eröffnete: „Ich halte rasch noch Ausschau nach einer Retaminquelle. Reite nicht ohne mich los!“
Und noch ehe ihn Sando von diesem sinnlosen Unterfangen abhalten konnte, war er außer Sichtweite.
Hoffentlich braucht er nicht zu lange für die Erkenntnis, dass die Anlage nicht mehr funktioniert , dachte der Junge und betrat den Pavillon.
Der Echsenführer, der dort auf seinen Einsatz wartete, trug – wie einst Stadlmeyr – eine Khakiuniform. Er machte nicht viel Federlesen, als er von dem Anliegen des Jungen erfuhr. Es schien ihn danach zu drängen, endlich lostraben zu können mit dem Tier, das er für unüberwindbar hielt. Und da er Doktor Fasin persönlich einen Gefallen tun konnte, indem er Sando half, gab es für ihn kein Halten. Auf einer Stange hingen verschiedene Überwürfe aus Chamäleonhaut, die sicher ebenfalls von Stadlmeyrs Josi stammte. Der Echsenführer reichte Sando ein Exemplar und forderte ihn auf, dieses anzulegen.
„Du brauchst einen Ganzkörperschutz!“, sagte er nur.
Sando nahm dankbar an. Er hatte nicht vor, im Laserfeuer der Gefahrenabwehr, die das Anwesen Doktor Fasins umstellt hatte, umzukommen. So streifte er umständlich die geschuppte Schutzhülle über seinen Kokonanzug.
Der Echsenführer meinte belustigt: „Du hast aber ein ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis …“
Sando erwiderte, verlegen grinsend: „Als Auvisor sehe ich überall Seelen – und das macht mich nervös.“
„Wenn es dir hilft …“ Achselzuckend warf sich der Echsenführer nun seinen Spiegelharnisch über.
Die spitze Kapuze gab ihm das Aussehen eines zu groß geratenen Heinzelmännchens. Sando lächelte still in sich hinein.
„Ist was?“, fragte der Mann und schob sich die Kapuze vom Kopf, sodass sie ihm im Nacken hing.
„Nein, nein“, beeilte sich Sando zu versichern.
Das rote Abendlicht, das von draußen hereinfiel, begann plötzlich unruhig zu flackern. Sando schaute durch die großen Fenster des Pavillons und sah, dass der Himmel am Horizont immer wieder grell aufleuchtete.
„Das Gefecht hat begonnen!“, bemerkte der Echsenführer knapp. „Komm, Junge!“
Sando rutschte das Herz in die Hose. Tief in seinem Inneren hatte er gehofft, dass es nicht zum Äußersten kommen würde. Doch wie es aussah, hatte der Präsident dem Machtanspruch Doktor Fasins eine Absage erteilt. Nun tobte die Schlacht und er, Sando, musste mitten hindurch.
Der Echsenführer eilte hinaus. Der Junge folgte ihm und hielt Ausschau nach Mike. Doch weit und breit war nichts von ihm zu sehen. Sie hielten auf die vorderen Beine der Echse zu, massige Säulen, die mit faltiger Spiegelhaut behängt waren. Das Tier hielt den Kopf steil in den Himmel gereckt. Beunruhigt von den
Weitere Kostenlose Bücher