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Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Magister
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spiegelblanke Boden warf die Sonne zurück und blendete Sando.
    Sie kamen an einer verwaisten Rezeption vorbei, die offenbar auf den regen Publikumsverkehr zu besseren Zeiten zugeschnitten war, und steuerten auf eine Drehtür zu. Als sie, umschwirrt von Mikes Seele, ins Freie traten, gingen Sando die Augen über von dem Bild, das sich ihm bot: Eine Spiegelechse glitzerte mit grünlicher Schuppenhaut in der Sonne. Die Entfernung zu ihr mochte einhundert Meter betragen, dennoch musste der Junge den Blick heben, um die unstet kreiselnden Telleraugen betrachten zu können. Die bizarr aufgerichteten Schildpanzer, die sich vom Kopf aus über den Rücken bis zur Schwanzspitze zogen, schimmerten in roten und gelben Tönen. Es sah aus, als lodere aus der grünen Echse ein Feuerstreif.
    Sando war überwältigt von der Erhabenheit dieses Tieres, obwohl er einem ähnlichen Exemplar – Stadlmeyrs Josi – bereits begegnet war. Auch Lemming war der Faszination des Chamäleons erlegen. Vor Staunen vergaß er zu schweben und sank langsam nieder. Erst als er den Boden berührte, schrak er auf und witschte wieder in die Höhe.
    Sando fiel auf, dass die Echse geduldig unter dem Ausleger eines Krans stand, an dessen Seil eine Plattform hing, die auf den Rücken des Monsters hinabgelassen wurde. Männer, klein wie Ameisen, krabbelten zwischen den aufragenden Schildpanzern herum, lavierten die Last und versuchten, sie in der Schuppenhaut zu verankern.
    Der Chef der Steuerzentrale schaute verdutzt drein. „Wieso steht dort nur eine Echse?“, fragte er. „Wir haben sieben Tanks geleert. Fünf Tiere sind unterwegs. Es müssten noch zwei da sein …“
    Rechterhand erblickte Sando eine Reihe weißer Halbkugeln, die Retamintanks. Jeder von ihnen wölbte sich mindestens fünfzig Meter in die Höhe. Der Himmel darüber flimmerte eigenartig und wies unzählige winzige Punkte auf.
    Seelenaugen! Wolfenhagens Kämpfer warteten auf Retamin! Jetzt war Sando heilfroh, dass es ihm gelungen war, die Produktion zu stoppen.
    „Ich verstehe das nicht!“, hörte Sando den Chef der Steuerzentrale sagen.
    „Wissen Sie genau, dass jedes Mal Echsen entstanden sind, wenn Sie den Tank geleert haben?“, fragte Sando.
    „Ich gehe davon aus. Was sollte denn sonst entstehen?“, kam die Antwort.
    „Zum Beispiel ein riesiges menschenähnliches Krabbelmonster mit Federhut.“
    Der Mann lachte. „Du hast eine blühende Fantasie, Junge!“
    „Nein. Doktor Fasin war unkonzentriert. Es gibt dieses missglückte Wesen tatsächlich.“
    „Und das läuft jetzt dort draußen rum?“
    „,Krabbeln‘ ist wohl das zutreffendere Wort.“
    „Du willst mich doch veralbern, Junge!“
    „Nein, ich wollte Ihnen nur vor Augen führen, dass hier nicht nur Echsen entstanden sind. Und wenn mich nicht alles täuscht, könnte der siebente Tank für eine Armee von tausend Kämpfern draufgegangen sein.“
    „Unsinn, Junge! Der Doktor kann sich doch unmöglich auf tausend Leute gleichzeitig konzentrieren.“
    „Richtig. Aber die Gegend wimmelt von Seelen aus dem Hades.“
    „Du meinst, sie könnten sich des Retamins aus dem letzten Tank bemächtigt haben.“
    „Das ist möglich.“
    Sando schaute sich um. Linkerhand, in der Ferne, fast am Horizont der staubtrockenen, roten Ebene glaubte er etwas zu sehen, was dort nicht hingehörte. Es mutete an wie ein bunter Flickenteppich. „Sehen Sie dort! Was könnte das sein?“, fragte er.
    „Keine Ahnung. Doch das ist in der Tat merkwürdig …“, gab der Chef der Steuerzentrale zu.
    „Vielleicht ein Heerlager“, vermutete Sando.
    „Ich schau mir das mal aus der Nähe an“, zirpte Lemming und schwebte davon.
    „Wie auch immer …“, schloss Sandos Begleiter die Sache ab. „Ob Heerlager oder nicht, ich muss wieder zur Anlage. Vielleicht können wir sie mit gutem Zureden doch noch dazu bringen, Retamin auszustoßen.“ Er zeigte zu einem Pavillon, der unweit des Chamäleons stand. „Dort findest du den Echsenführer. Vielleicht kannst du ihn überreden, dass er dich mitnimmt.“
    Sando bedankte sich und konnte es sich nicht verkneifen, viel Glück für die Retaminproduktion zu wünschen. Dann machte er sich auf den Weg zum Pavillon. Sein Anzug gleißte in der Abendsonne und er geriet heftig ins Schwitzen, doch er dachte nicht daran, den Schutz aufzugeben, dafür waren ihm zu viele Seelen unterwegs. Mit jedem Schritt, den er tat, wuchs die Echse ein Stück mehr. So winzig er dem Monster auch erscheinen mochte, es richtete eines

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