Katharsia (German Edition)
ängstlichen Blicken seiner unfreiwilligen Tischgenossen, die zu fragen schienen, welche Teufelei diesmal auf sie zukommen mochte, und er schmunzelte: „Ich sehe es Ihnen an, Sie trauen mir Dankbarkeit nicht zu. Aber ich will Ihnen beweisen, dass ich treuen Dienern gegenüber großzügig sein kann.“
Daraufhin winkte er Jussuf herbei.
„Meine Damen und Herren, diesem tapferen Mann ist ein Paradies versprochen worden. Bis heute hat er vergeblich darauf gewartet. Ich aber finde, er hat es verdient. Hiermit setze ich ihn als Erben des eben verblichenen Jamal al Din ein!“
Der Beschenkte fiel vor seinem Gönner auf die Knie, küsste ihm die Füße. Wolfenhagen ließ es geschehen. Die Huldigung gefiel ihm sichtlich.
Angewidert von seiner Unterwürfigkeit war Maria mit ihrem Stuhl abgerückt und schaute den Attentäter, der auf sie geschossen hatte, unverwandt an.
Erkennt sie ihn wieder , fragte sich Sando. Sie machte auf ihn den Eindruck, als suche sie in ihrer Erinnerung nach etwas, was sie nicht greifen konnte. Denk nach, Maria , rief ihr Sando in Gedanken zu. Doch eine Handbewegung des Grafen, mit der er Jussufs Huldigung beendete, riss sie in die Gegenwart zurück.
Sando seufzte und hörte, wie der Graf launig ankündigte: „Meine Damen und Herren, nicht umsonst habe ich die Tafel so prächtig eindecken lassen. Es ist Zeit für das Galamenü!“
Er klatschte in die Hände, während er sich an Gregor wandte: „Und du, spiel was Lustiges!“
Gregor hatte sich in seine Rolle gefügt und zögerte nicht lange, aus seiner Flöte einen Tanz hervorzuzaubern. Sando bewunderte ihn dafür. Er konnte ermessen, was es bedeutete, in dieser Lage so aufzuspielen.
Verzückt zuckte Wolfenhagen im vorgegebenen Rhythmus, während er erneut nach der Bedienung klatschte. Als sich wiederum niemand blicken ließ, verflog seine gute Laune so rasch, wie sie gekommen war. Ungehalten rief er: „Was ist los? Wo bleiben die Speisen?“
„Sie kommen nicht“, sagte Doktor Fasin trocken.
„Wie meinen Sie das? Wieso sollten sie nicht kommen?“
In Wolfenhagens Augen blitzte es gefährlich.
„Ganz einfach“, versetzte der Doktor. „Ihre Leute haben meine Köche umgebracht.“
„Na und? Ich habe selbst welche.“
Doktor Fasin lachte höhnisch. „Aber sie beherrschen die Technik in der Großküche nicht.“
Es war ihm anzusehen, dass es ihm Freude bereitete, diesem arroganten Adeligen aus dem Mittelalter eins auszuwischen. Vieles hatte er Wolfenhagen im Hades erzählt von der neuen Welt, ihm erklärt, dass es Maschinen gab, die fliegen konnten, Waffen, die mit Lichtstrahlen töteten, Kameras und Mikrofone, die lebendige Bilder und gesprochene Worte eines Menschen aufzeichnen konnten. Doch über die Existenz und Funktionsweise elektrischer Küchengeräte hatte er ihn während ihrer täglichen Treffen freilich nicht aufgeklärt. Nun schleuderte er genüsslich ins wutverzerrte Gesicht Wolfenhagens den Satz: „Ihre Leute sind zu dumm zum Wasserkochen!“
Und dann lachte er frei heraus. Alles, was ihm geblieben war, war dieser kleine, erbärmliche Triumph. Er kostete ihn aus, verhöhnte den Mann, der alles zerstört hatte, was ihm wichtig war: seinen Traum, angesehener und unangefochtener Herrscher über ein glückliches Land zu sein. Doktor Fasin lachte und lachte und es interessierte ihn nicht, wie teuer er es würde bezahlen müssen. Selbst Sando, Nabil, Ben und Denise zogen nun verstohlen ihre Münder breit. Auch Maria und Djamila konnten nicht an sich halten und glucksten vor sich hin. Lemmings Seele hüpfte vor Freude zwischen der gedeckten Tafel und dem Kronleuchter auf und nieder, während Gregor, so laut er konnte, einen Triumphmarsch spielte. Nur der Chefredakteur zog seinen Kopf ein und wagte es nicht, seinen Stift zu benutzen.
Wolfenhagen sah rot. Mit katzenhafter Gewandtheit sprang er auf, schlug Gregor die Flöte aus der Hand und zischte dem Doktor zu: „Sie sind auch so ein überflüssiger Klugscheißer! Ich werde Ihnen zeigen, dass meine Köche sich zu helfen wissen!“
Er wandte sich seinen Wachen zu, hob die Arme und kreuzte sie über dem Kopf, ein Zeichen, das Bewegung in die Reihen der Bewaffneten brachte und eine mörderische Choreografie entfesselte, tausendmal geübt und perfekt ausgeführt: Ein Speer kam geflogen. Wolfenhagen fing ihn aus der Luft. Zwei Kreuzfahrer rissen den Doktor aus seinem Stuhl, zwangen ihn auf die Knie. Dann griffen sie ihm ins Haar, zerrten seinen Kopf nach hinten. Vor Schmerz
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