Katharsia (German Edition)
diese Geste nicht entgangen.
„Sieh mal an, der reiche Herr Unternehmer schlägt sich auf die Seite seiner Frau!“
Gregor war zunächst vergessen. Ein neues Opfer bot sich dem Grafen dar: sein Nebenbuhler. Die Gelegenheit ließ sich Wolfenhagen nicht entgehen. Mit strahlender Miene wandte er sich Jamal al Din zu: „Darf ich fragen, wie groß Ihr Harem ist?“
Jamal al Din schwieg, puterrot vor Zorn und Angst.
„Verraten Sie es mir!“, beharrte Wolfenhagen, während sich Jussuf dem Unternehmer drohend näherte.
„Dreizehn“, flüsterte Jamal al Din.
Sando glaubte, nicht recht gehört zu haben. Maria eine unter vielen? Wie hatte sie das nur ertragen? Mit bitterer Genugtuung verfolgte er, wie Wolfenhagen Jamal al Din in die Enge trieb.
„Wie bitte? Sprechen Sie lauter, Mann!“, drängte der Graf. „Sagen Sie es vor allem Jussuf, Ihrem Glaubensbruder, der als tapferer Gotteskrieger im Hades saß, obwohl man ihm das Paradies versprochen hatte! Es wird ihn interessieren, für wen in dieser Welt die Jungfrauen reserviert sind.“
Jussuf stand inzwischen mit gezücktem Messer hinter dem Unternehmer.
„Dreizehn“, wiederholte Jamal al Din gequält.
Maria saß wie versteinert.
„Dreizehn“, echote der Graf genüsslich.
„Ja“, schluckte al Din, „aber sie ist … meine Lieblingsfrau.“
Langsam hob Maria ihre Hände, presste sie an die Ohren.
„Haben Sie sie gefragt?“, setzte Wolfenhagen sein Verhör fort.
„Gefragt?“ Der Unternehmer blickte verständnislos drein.
„Haben Sie sie gefragt, ob sie einverstanden ist?“ Wolfenhagen, der sich stets nahm, was er begehrte, ohne je zu fragen, hatte beschlossen, den moralisch Überlegenen zu spielen.
„Na ja … was heißt gefragt …“, druckste Jamal al Din, der nicht wusste, was er sagen musste, um dem blutrünstigen Kreuzfahrer zu entgehen. „Sie ist doch mit mir … also … ich habe sie doch …“
„Hinaus mit ihm!“, befahl der Graf.
Der Stuhl seines Nebenbuhlers fiel polternd um. Jussuf hatte ihn nach hinten weggezerrt.
Das Messer an der Kehle, flehte Jamal al Din: „Bitte nicht!“
Todesangst weitete seine Augen, gab ihm die Kraft, sich loszureißen. Er stürzte auf Wolfenhagen zu und schrie: „Sie machen einen Fehler, Graf! Ich bin Geschäftsmann! Sie brauchen mich …“
Plötzlich brach Blut aus seinem Mund. Er kippte vornüber und landete zu Füßen Wolfenhagens. In seinem Rücken steckte ein Speer. Ein Sauger jaulte los und fing die entweichende Seele ein. Die Wachen funktionierten präzise und emotionslos.
Während Maria in Reglosigkeit erstarrte, schleiften sie den Leichnam hinaus. Mit einem Knall fiel die Tür ins Schloss.
Wolfenhagen seufzte und wandte sich behutsam an seine Nachbarin. „Es tut mir aufrichtig leid, meine Liebe“, erklärte er mit gespielter Betroffenheit. „Aber du hast es selbst gesehen: Er wollte mich angreifen. Die Wachen haben nur ihre Pflicht getan.“
Er berührte ihre Hand. Maria zuckte zurück, als hätte sie ein elektrischer Schlag getroffen. „Er war deiner nicht wert“, sagte er mit sanfter Stimme. „Vergiss ihn.“
Maria reagierte nicht. Sie stierte auf das Porzellangedeck, das vor ihr auf der Tafel stand, als wollte sie es kraft ihres Blickes zerspringen lassen. Unwillig hob der Graf die Brauen, doch er drang nicht weiter auf sie ein.
„Nun gut, wir haben Zeit“, brummte er und lauschte auf das dumpfe Dröhnen, den tödlichen Stampftanz der Echsen, der die Kristalle an den Kronleuchtern zum Klirren brachte.
„Spiel!“, sagte er plötzlich, ohne Gregor anzusehen.
Gregor zuckte zusammen, die Hände um die Flöte gekrampft. Sando nickte ihm zu. Gregor setzte die Flöte an die blutverkrusteten Lippen. Leid und Trauer klangen durch den Saal, rührten die Gemüter der unfreiwillig Geladenen an, denen der Graf ein Spiel aufnötigte, dessen Regeln er allein bestimmte und dessen Sinn es offenbar war, ihn über seine Opfer zu erheben und sie zu demütigen, ehe er sie nach Belieben begnadigte oder tötete. Es gibt kein Entrinnen , schluchzte Gregors Melodie, die er mit schmerzenden Lippen spielte.
Wolfenhagen betrachtete spöttisch die Jammergestalten, die ihm nichts mehr entgegenzusetzen hatten. Sie schienen nur noch eines zu kennen: Todesangst.
Schließlich erhob er sich, er hatte genug von dem Trauerspiel. Gregors Melodie brach ab.
Der Graf nahm einen Schluck Wein und rief: „Anlässlich dieser Siegesfeier will ich mich auch dankbar zeigen!“
Er weidete sich an den
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