Katharsia (German Edition)
Schalk saß in ihren runden Augen. „Aber wenn wir schon dabei sind, lassen wir es doch dabei.“
Sie sahen sich an und begannen zu lachen. Erst leise und zurückhaltend, dann immer lauter – und endlich gab es kein Halten mehr: Sie wieherten aus Leibeskräften. Irgendwo musste sie hin, die Spannung, die sich in ihnen angestaut hatte.
Denise war die Erste, die den Blick für die Lage, in der sie sich befanden, zurückgewann. „Wir müssen hier weg!“, sagte sie. „Hier wird es bald vor geflügelten Kampfmaschinen nur so wimmeln.“
„Wir werden ihnen nicht entkommen“, entgegnete Sando resigniert. „Sie werden unserer Fußspur folgen.“
Sie saßen nebeneinander im Sand, wie gelähmt von der Aussicht auf eine neuerliche Gefangennahme. Sando erzählte Denise von seiner Vermutung, die beiden KORE-Leute könnten Stadlmeyr umgebracht haben, und dass ein fairer Prozess kaum zu erwarten sei.
Denise blickte düster drein. „Ich fürchte, du hast Recht.“
„Wenn wir hier spurlos verschwinden könnten …“, sinnierte Sando. „Alle würden glauben, die Echse hätte auch uns gefressen.“
„Und keiner würde mehr nach uns suchen“, ergänzte Denise.
„Aber unsereins hat nun mal keinen Helikopter.“ Sando warf wütend eine Handvoll Sand in den Wind.
Denise seufzte: „Was hab ich dir nur angetan?! Armer Sando!“ Tränen traten in ihre Augen.
„Nicht schon wieder diese Leier!“, blaffte Sando sie an. „Hör endlich auf, mich immer zu bemitleiden!“
„Ich kann doch nicht anders!“
Nun heulte Denise erst recht. Sie griff in ihr Häkeltäschchen auf der Brust. Doch was sie herausholte, war nicht etwa ein Taschentuch, sondern der Schlüssel des Schwebemobils. Er sah aus wie eine kleine Fernbedienung.
Schlagartig hörte sie auf zu wimmern. „Sieh mal, Sando! Das Ding hatte ich längst vergessen.“
„Meinst du, das hilft uns weiter? Wer weiß, wo das Mobil steht und ob wir es überhaupt finden.“
„Wir müssen es nicht finden, Sando. Es findet uns.“
Sie studierte eingehend die Tastatur und drückte schließlich auf eine der Tasten.
„Diese müsste es sein.“ Sie wurde munter. „So – und bis das Ding hier ist, lass uns unsere Spuren verwischen!“
Es dauerte keine drei Minuten, bis das Schwebemobil schlingernd neben Sando und Denise hielt. Der kleine Barockengel umarmte den Jungen erleichtert.
„Kannst du mit dem Ding überhaupt umgehen?“, fragte Sando skeptisch, während sie das Fahrzeug bestiegen.
„Nichts leichter als das!“ Denise drückte einen Knopf und befahl: „Makala, Stadttor!“
Das Mobil setzte sich in Bewegung. Triumphierend schaute sie Sando an. Der musste unwillkürlich lächeln, denn ihr stolzer Blick stand in krassem Gegensatz zu den noch immer tränenverschmierten Augen.
So kann sie sich in der Stadt nicht blicken lassen , dachte der Junge und erinnerte sich an den Spiegel, den Fatima ihm geschenkt hatte. Er zerrte seine Tasche von der Rückbank und entnahm ihr das rote Kästchen.
„Oh!“, entfuhr es Denise, als sie ihr Spiegelbild erblickte.
Sie öffnete ihre Wasserflasche, goss sich Wasser in die hohle Hand und rieb sich das Gesicht damit ab. Während sie diese Prozedur mehrfach wiederholte, betrachtete Sando versunken die unwirtliche Gegend, durch die das Mobil – wie von Geisterhand gesteuert – seine Bahn zog. Seine Gedanken kreisten um das Wunder ihrer Rettung.
„Dieser Fallschirm“, sagte er, „es ist unglaublich. Kaum habe ich mir so ein Ding gewünscht, da hing ich auch schon dran.“
„Der Nebel im Helikopter, Sando, das war Retamin! Deshalb konnte dein Wunsch materialisiert werden.“
„Sie hatten Retamin an Bord?“
„Offensichtlich. Diese korrupte Bande! Und dann das Chamäleon … Ich habe so ein großes Tier noch nie gesehen.“
Schaudernd blickte sie hinaus in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Noch immer ragte am Horizont der gleißende Kadaver wie ein Berg auf.
„Es war das erste Wesen, das mir in Katharsia begegnet ist – abgesehen von ein paar Aasgeiern, die auf mich scharf waren. Du kannst dir vorstellen, wie ich mich gefühlt habe.“
„Und es gehörte Franz Stadlmeyr?“
„Ja.“
„Da steckt unglaublich viel Retamin drin“, sagte Denise kopfschüttelnd. „Wo mögen nur all die Seelen sein, denen er es gestohlen hat …“
„Das müsstest du doch wissen als seine Komplizin“, scherzte Sando bitter.
„Entschuldige, dass ich darüber nicht lachen kann! Diese vielen Schicksale …“
Wieder
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