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Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Magister
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manch ausgelassene Runde getafelt haben musste.
    „Setzt euch! Macht es euch bequem!“, forderte Ben Hakim sie auf. „Sina, meine Wirtschafterin, wird bald vom Markt zurück sein, dann können wir etwas Richtiges essen. Wollt ihr bis dahin Tee?“
    „Wasser wäre mir lieber“, sagte Denise, die von dem langen Fußmarsch durstig war, und Sando schloss sich ihr an.
    Aufatmend ließen sie sich in die Sessel fallen. Es tat ihnen gut, die Füße hochzulegen und sich in Sicherheit zu wissen.
    Ben Hakim schlurfte ins Haus und Denise raunte Sando zu: „Er ist auch Mitglied der Kommission.“
    „Welcher Kommission?“
    „Na, er entscheidet mit über die Aufnahme von Neuankömmlingen in Katharsia.“
    Doch noch bevor Sando sein Erstaunen darüber zum Ausdruck bringen konnte, bei welch wichtigem Mann sie zu Gast waren, kehrte der Alte zurück. Mit der einen Hand klammerte er sich an seinem Stock fest, mit der anderen trug er heftig zitternd eine gläserne Wasserkaraffe.
    Denise sprang auf und nahm ihm das Gefäß ab. „Verzeih mir, Ben“, sagte sie, „ich war unaufmerksam. Wo finde ich die Gläser?“
    Der schlohweiße Alte lächelte spitzbübisch, kramte in seinem schon etwas verschlissenen Kaftan und zauberte nacheinander drei Gläser hervor. Doch nicht genug damit. Auch drei schöne rotbäckige Äpfel und ein kleines Messer brachte er noch zum Vorschein.
    „Ich habe inzwischen gelernt, mit meinen Wegen sorgsam umzugehen“, sagte er. „Bitte bedient euch. Wenigstens eine kleine Stärkung.“
    Denise schenkte Wasser in die Gläser, während sich Ben Hakim umständlich setzte, indem er sich gleichzeitig auf Stock und Tischplatte stützte. Sie tranken andächtig und schwiegen eine Zeit lang. Hier unter dem Sonnensegel war die Hitze erträglich. In einer Ecke des Hofes plätscherte ein kleiner Springbrunnen. Sonst herrschte Stille. Der Lärm der Stadt drang nicht bis hierher. Die Augen des Alten ruhten auf Denise. Er genoss es offensichtlich, sie bei sich zu wissen.
    „Wie lange kennen wir uns?“, fragte er schließlich.
    „Aber Ben“, sagte Denise sanft, „das fragst du mich jedes Mal.“
    „Weil die Antwort jedes Mal eine andere ist.“
    Ben Hakim lächelte.
    Denise schien im Kopf etwas zu rechnen.
    „Du hast Recht“, sagte sie überrascht. „Es sind inzwischen genau siebzig Jahre.“
    Sando klappte die Kinnlade herunter. „Siebzig Jahre? So alt bist du doch gar nicht, Denise.“
    „Aber ja! Nur mein Körper ist erst fünfundzwanzig.“
    Sando fühlte sich veralbert und rollte mit den Augen, woraufhin der Alte erklärte: „Nun, die Lebensdauer der leiblichen Hülle ist leider begrenzt.“ Er strich sich nachdenklich mit dem Mittelfinger über die rechte Augenbraue. „Für einen Neuankömmling klingt das vielleicht merkwürdig, aber mein Körper hat hier in Katharsia schon etliche Male das Zeitliche gesegnet.“ Er blickte an sich herab. „Dieses tatterige Exemplar ist bereits mein elftes. Seit über neunhundert Jahren bin ich schon hier.“
    „Neunhundert Jahre? Sie nehmen mich auf den Arm, Herr Hakim.“ Sando war fassungslos.
    „Keineswegs. Als ich Denises Vater vor siebzig Jahren kennenlernte, er war damals neu in Katharsia, ein Knabe, dessen Wunschwesen dieser kleine Schutzengel war“, der Alte schenkte Denise einen warmen Blick, „da war ich schon einige Jahrhunderte hier. Es ist leider so, dass meine Seele in neunhundert Jahren keinen Frieden finden konnte. Und immer, wenn mein Leib schlappmachte, habe ich – genauer gesagt, meine unruhige Seele – wieder einen neuen bekommen.“
    „Und dieser neue Körper ist dann jedes Mal wieder jung?“
    „Du sagst es, Sando. Mein nächster Leib wäre der des dreizehnjährigen Jungen, der vor neunhundert Jahren hier angekommen ist.“
    „Ein uralter Mensch in Jungengestalt“, sagte Sando verblüfft.
    „So ist es“, bestätigte Ben Hakim. „In Katharsia kannst du also vom Aussehen nicht auf das Alter schließen. Hier können Kinder die Lebenserfahrung von Jahrhunderten haben.“
    „Doch für diese Wiedergeburt ist Retamin vonnöten“, ergänzte Denise.
    „Richtig“, bestätigte Ben Hakim. „Doch in dieser Hinsicht sieht es inzwischen trübe aus in Katharsia.“
    Er nahm sich einen Apfel, schnitt ihn in zwei Hälften und pulte umständlich das Kerngehäuse heraus. Als er begann, die Hälften zu schälen, schüttelte Denise den Kopf und sagte: „Ach, Ben, wie oft habe ich dir schon gesagt, dass die Schale das Wertvollste ist …“
    Mit

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