Katharsia (German Edition)
Und jetzt hatte er eine Spur, die er aufnehmen konnte!
„Danke, vielen Dank!“, sagte er glücklich.
Doch der Reporter dämpfte seine Freude. „Ich fürchte, sie wird dich nicht erkennen.“
„Warum nicht?“
„Nun, mir sind in letzter Zeit etliche Fälle untergekommen, bei denen Neuankömmlinge seltsame Persönlichkeitsveränderungen erlitten haben. Bekannte der Betroffenen haben den Eindruck, von ihnen existiere nur noch die körperliche Hülle, darin stecke aber jemand anderes. Und Maria scheint dazuzugehören.“
Sando fröstelte. „Sie machen mir ja Mut.“
„Besser, ich sage es dir jetzt, dann bist du vorbereitet. Ich glaube übrigens, dass das alles im Zusammenhang steht: Retaminunterschlagungen, verschwundene Seelen und Persönlichkeitsveränderungen.“
„Ich werde sie besuchen“, murmelte Sando, doch im selben Moment, da er dies sagte, wusste er nicht, ob er den Mut dazu aufbringen würde. Auf dem Zettel stand der Name Callista Masaad, darunter Jamal al Din.
„Das ist der Mann, bei dem sie wohnt. Ein Großunternehmer“, erklärte Massef.
Nachdenklich entfernte sich Sando von ihm und hörte ihn noch rufen: „Sei vorsichtig, Sando! Mit Jamal al Din ist nicht zu spaßen.“
DER AUVISOR
Nach einigem Umherirren hatte Sando zurückgefunden in die Gasse, in der Ben Hakims Haus lag. Zögernd klopfte er. Als Sina öffnete, stieß sie einen erstickten Schrei aus. Rasch zog sie Sando ins Innere, nicht ohne sich zu vergewissern, dass auf der Straße niemand Verdächtiges herumlungerte.
Die Tür knallte zu. Unter bösem Gezische zerrte sie ihn in die Küche. Dort saß Denise am Tisch, ihr Blick die reine Anklage.
„Spar dir deine Rede, ich weiß, dass ich Mist gebaut habe“, kam Sando ihren Vorhaltungen zuvor.
„Auch noch frech werden!“, quiekte Denise spitz. „Weißt du, was wir hier durchgemacht haben?“ Sie schnappte nach Luft. „Und wie du rumläufst! Dreckig, der schöne Kaftan zerrissen!“
„Ich habe Maria gesehen.“
Ruhe.
Denises Bewegungen froren augenblicklich ein. Der Mund stand halb offen, die rechte Hand war, den Zeigefinger auf Sando gerichtet, in der Luft hängen geblieben, sogar das Atmen hatte sie eingestellt. Wäre nicht das Zucken ihrer Lider gewesen, hätte man sie für eine Statue halten können.
Sando wartete, bis sich der kleine Engel wieder gefangen hatte, und erzählte dann, was ihm widerfahren war, während seine Gefährtin mit geweiteten Augen zuhörte.
„Und du bist sicher, dass sie es gewesen ist?“ Sie war noch immer nicht überzeugt.
„Aber ja!“, beteuerte Sando. „Es stimmte alles, ihr Gesicht … ihre Augen … Sie trug sogar diese Ohrkettchen.“
Unwillkürlich fasste sich Denise an die Ohren. Der Schmuck, den Sando für sie aus der Wunschkugel gezaubert hatte, klimperte leise.
„Und dieser Reporter meint, es sei nur ihre Hülle, in der eine fremde Seele steckt?“
„Ja. Und wenn ich es recht bedenke, ist da was dran. Maria hat auf dem Basar arabisch gesprochen, das konnte sie doch gar nicht.“
„In der Tat merkwürdig. Nehmen wir an, du hättest Recht …“
„Ich habe Recht. Ich weiß es.“
„Unterbrich mich doch bitte nicht, es ist schwierig genug. Also nehmen wir mal an, es wäre Maria, genauer gesagt, deren Körper. Wie kommt dann eine fremde Seele hinein? Das geht gar nicht.“
„Warum nicht?“
„Weil du zuerst die echte Seele entfernen müsstest, bevor du eine andere einpflanzt. Aber wenn du sie entfernst, bedeutet das den Tod für den Körper.“
„Und ist er tot, kann er keine neue Seele aufnehmen“, setzte Sando den Gedanken fort.
„Richtig.“
Es trat Schweigen ein. Sina klapperte mit dem Geschirr und warf hin und wieder vorwurfsvolle Blicke in Sandos Richtung. Denise erhob sich.
„Es ist ein Rätsel, das wir hier am Küchentisch nicht lösen können, Sando. Ich bin gespannt, was Ben dazu sagen wird.“
Er nickte niedergeschlagen. Für heute war sein Bedarf an Abenteuern gedeckt. Müde folgte er Denise aus der Küche.
„Ich glaube, du solltest jetzt ein Bad nehmen und dir frische Sachen anziehen“, sagte sie ein wenig oberlehrerhaft. Mit einem Buch in der Hand schlug sie den Weg zum Hof ein.
Sando erklomm die Treppe zum Obergeschoss. Als er die Badtür öffnete, hörte er Denise noch rufen: „Schade um den Kaftan!“
Das heiße Bad hatte Sandos Müdigkeit noch verstärkt. Nun lag er im Dämmerlicht der geschlossenen Fensterläden auf seinem Bett und schlief. Sein Atem ging gleichmäßig. Die
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