Katharsia (German Edition)
gedämpften Laute, die durch das Fenster hereindrangen, kamen von weither. Hier gab es nichts, was seinen Schlaf hätte stören können, sah man ab von dem zarten Hauch, der unversehens durch das Zimmer wehte. Sando rührte sich. Unruhe befiel ihn, als hätte er diese Luftschwingung im Schlaf gespürt. Sanft wie der Flügelschlag eines Schmetterlings streifte ihn ein flüchtiger Schatten, beschwor Bilder herauf, einen Traum …
Er steht in einem gläsernen Fahrstuhl. Die Etagenanzeige zählt bis siebzehn, dann öffnet sich die Tür. Er betritt ein helles Büro, auch hier viel Glas, dahinter das herrliche Panorama von Makala. Eine Dame mit perfektem Empfangslächeln eilt ihm entgegen. „Herzlich willkommen, Herr Hakim! General Assadi erwartet Sie.“
Hakim? Wieso spricht sie mich mit Hakim an?
Sando wälzte sich auf die andere Seite.
Er geht an der Dame vorbei. Sie lächelt ihm zu, duftet nach Mandelblüten.
Ein geräumiges Büro.
Der Mann hinter dem aufgeräumten Schreibtisch steht auf, kommt mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. Seine Generalsuniform sitzt akkurat. „Schön, dich zu sehen, Ben! Komm, setz dich!“
Ein paar bequeme Ledersessel um einen niedrigen Tisch. Sie setzen sich, Makala zu ihren Füßen.
„Danke, Achmed. Ich will dich nicht lange stören.“
Wieso rede ich mit Bens Stimme? Und wer ist Achmed?
Sando zuckte im Schlaf. Dann überließ er sich vollends dem Traum. Er war Ben Hakim …
General Assadi schaut ihn an wie jemanden, mit dem man schon so manche Fensterscheibe eingeschlagen, so manchen Lausbubenstreich ausgeheckt hat.
„Du störst doch nicht, Ben. Ich wünschte, ich hätte immer so angenehmen Besuch.“
Ein Seufzer. Die Dame aus dem Vorzimmer kredenzt Kaffee, schwebt in einer Wolke aus Mandelblütenduft davon. Assadi schaut ihr gedankenverloren nach.
„Geht es deiner Frau inzwischen besser, Achmed?“
Ben erntet einen Blick, in dessen Tiefe der Schmerz brennt.
„Agila, sie ist gestorben. Ich habe sie in aller Stille beerdigt.“
„Das habe ich nicht gewusst. Es tut mir leid.“
„Nach dem Tod ist ihre Seele in die Warteschleife gekommen.“ In seiner Stimme ist Bitterkeit. „Was habe ich nicht alles versucht, ihr den Kokon zu ersparen! Keine Chance – nicht einmal in meiner Position. Es gibt keinerlei Bevorzugung. Dieser verdammte Retaminmangel.“
Er schließt die Augen. Ben greift über den Tisch nach seiner Hand. Sein Freund zieht sie zurück, als er die Berührung spürt.
„Lass gut sein, Ben, ich werde schon irgendwie klarkommen.“
Ein leichtes Zucken im Gesicht verrät seine Bewegung.
„Und wie geht es dir, Ben?“
„Wie immer, Achmed. Es sind vor allem die Nächte, die mir zu schaffen machen. Es wird wohl nie aufhören.“
Der Alte führt seine Tasse zum Mund, verschüttet Kaffee.
„Siehst du? Ein richtiger Tattergreis bin ich geworden. Bald winkt auch mir der Kokon. Beneidenswert, wie du noch beieinander bist.“
„Tja, mein Lieber, in der Militärakademie habe ich gelernt, fit zu bleiben. Das bin ich meiner Bilderbuchkarriere auch schuldig.“ Sie lachen.
Ben Hakim wirft ein: „Zwei solcher hoffnungsvollen Karrieren haben jetzt auf tragische Weise ihr Ende gefunden.“
Das Lachen des Generals erstirbt.
„Die beiden KORE-Jungs, es ist entsetzlich.“
„Wegen dieser Geschichte bin ich hier. Ich möchte aber nicht mit dem Chef der Gefahrenabwehr General Assadi sprechen, sondern mit meinem Freund Achmed. Einverstanden?“
Assadi schaut Ben Hakim prüfend ins Gesicht. „Na, schieß los, mein Freund! Was hast du auf dem Herzen?“
Ben legt ein Foto auf den Tisch.
Assadi ist überrascht. „Wo hast du das her? Bist du wahnsinnig, heimlich KORE-Leute zu fotografieren?“
„Ich war nicht auf dieser Beerdigung.“
„Aber sicher hast du den Auftrag für das Foto erteilt.“
Ben lehnt sich im Sessel zurück. „Spreche ich jetzt mit dem General oder mit dem Freund?“
„Du machst mir Spaß, Ben! Wenn jemand dahinterkommt …“
„Kennst du den Mann mit diesem schlangenförmigen Abzeichen?“ General Assadi blickt auf das Foto, hält für einige Sekunden den Atem an.
„Warum willst du das wissen?“
Ben beschleicht ein ungutes Gefühl. „Diese Beerdigung war eine geschlossene Veranstaltung des KORE. Ich frage mich, warum er als Zivilist teilnehmen durfte?“
„Warum interessierst du dich ausgerechnet für ihn? Es sind noch andere Zivilisten auf dem Foto.“
„Die konnte ich identifizieren. Es handelt sich um Angehörige der
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