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Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Magister
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christlichen Pilger nicht in die Stadt gelassen.“
    Ben erinnert sich noch gut an die Seldschuken. Erst ein Jahr ist es her, dass deren Herrschaft über Jerusalem zu Ende ging. Drei Jahrzehnte lang hatte das kriegerische Nomadenvolk aus dem Osten die Stadt in seiner Gewalt. Es waren Muslime wie er, doch aus Sicht seines Vaters gehörten die Nomaden der falschen Richtung des Islam an, den Sunniten. Die alteingesessenen Jerusalemer waren Schiiten und nicht nur sein Vater hatte es als Schmach empfunden, von Sunniten beherrscht zu werden. Doch Ben und seine Freunde waren unter den Seldschuken aufgewachsen und nie hatte es Probleme mit ihnen gegeben. Nie waren sie von den Besatzern behelligt worden bei ihren täglichen Streifzügen durch die Stadt. Sein Vater aber hatte sie gehasst und mit Sorge gesehen, dass die Seldschuken Jerusalem nach außen hin abschotteten. Vor allem christlichen Pilgern hatten sie den Zutritt zu ihren heiligen Stätten verwehrt.
    „Ach was!“, widerspricht Achmed. „Seit die Unseren im letzten Jahr die Seldschuken vertrieben haben, können die Christen wieder nach Belieben in die Stadt.“
    „Und warum sind die Kreuzfahrer dann hier?“, will Ben wissen. Achmed schaut ihn an, in seiner Miene toben widerstreitende Empfindungen. Dann fasst er entschlossen in sein Gewand und holt einen kleinen Dolch hervor. Ben hat ihn nie zuvor gesehen. Ein kostbares Stück. Die Klinge ist leicht gebogen, der goldene Griff besetzt mit Edelsteinen.
    „Mein Vater hat heute die wertvollen Sachen gepackt. Du weißt schon, Ben, die zu euch in den Keller sollen …“, erklärt Achmed mit einem vielsagenden Blick.
    Ben versteht. Sein Vater ist Goldschmied und er besitzt einen geheimen Lagerraum, dessen Zugang hinter einem Kellerregal verborgen ist. Unter den drei Jungen ist es ein offenes Geheimnis, dass enge Freunde und gute Kunden des alten Hakim dort ihre Reichtümer einlagern wollen, um sie vor den Kreuzfahrern in Sicherheit zu bringen.
    „Den Dolch wollte er auch einpacken, aber dann hat er es sich anders überlegt und ihn mir geschenkt.“
    Ben nimmt ihn beinahe ehrfurchtsvoll in die Hand. Auf der blitzenden Klinge entdeckt er eine Gravur: „Kilidsch Arslan“ . Ben kennt diesen Namen. Kilidsch Arslan ist ein Sultan der Seldschuken. Seine Armeen haben den Kreuzfahrern schon blutige Schlachten geliefert.
    „Hat der Dolch Kilidsch Arslan gehört?“, fragt Ben mit großen Augen.
    „Ich glaube schon.“
    Ben dreht die Klinge ins Sonnenlicht. Grelle Lichtreflexe umspielen den eingravierten Namenszug.
    „Er muss unglaublich wertvoll sein. Wo hast du ihn her?“
    „Mein Vater hat ihn von den Kreuzfahrern bekommen, als Gastgeschenk“, sagt Achmed.
    Ben gibt das Messer zurück und fragt ungläubig: „Einen Seldschukendolch von den Kreuzfahrern?“
    „Ja. Mein Vater gehörte zu einer Abordnung, die die Unseren zu ihren Anführern geschickt haben.“ Achmed starrt unverwandt auf die Staubwolke in der Ferne. „Unsere Leute boten den Kreuzfahrern Hilfe beim Kampf gegen die Seldschuken an.“
    „Gemeinsam mit den Christen gegen Muslime?“
    Ben staunt und Gregor sagt irgendwie erleichtert: „Warum nicht? Die Seldschuken sind schließlich der gemeinsame Feind.“
    „Als Gegenleistung sollten die Kreuzfahrer Jerusalem in Frieden lassen, zumal sich heute die christlichen Pilger wieder frei bewegen können in der Stadt“, erzählt Achmed weiter.
    „Und? Wie haben die Kreuzfahrer reagiert?“
    „Die fränkischen Christen haben sich alles freundlich angehört und den Gesandten wertvolle Geschenke gemacht, so wie diesen Dolch, ausnahmslos Kriegsbeute von den Seldschuken.“
    „Warum das?“
    „Mein Vater sagt, sie wollten damit zeigen, dass sie die Seldschuken allein schlagen können.“
    „Und was geschah dann?“
    „Gar nichts. Sie haben die Abordnung einfach nach Hause geschickt. Versteht ihr? Sie haben unser Angebot ausgeschlagen. Es ist ihnen gleich, ob die Seldschuken hier herrschen oder die Unseren. Sie wollen Jerusalem.“
    Die Freunde schweigen bedrückt.
    Ben wendet seinen Blick von der schattenlosen Einöde außerhalb der Stadtmauer auf das herrliche Panorama, das Jerusalem von hier oben aus bietet: ein Gewirr von Dächern, aus dem überall Türme und Kuppeln sprießen, so wie Keimlinge aus einem fruchtbaren Boden: Moscheen, Synagogen und Kirchen in friedlicher Eintracht. Die Krönung von allem: der Haram es-Sharif, der Tempelberg, mit dem Felsendom und der gewaltigen Kuppel der

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