Katharsia (German Edition)
Al-Aksa-Moschee.
„Die Stadt ist reich“, sagt Achmed. „Ich sage euch: Den fränkischen Horden geht es nicht um ihre heiligen Stätten. Sie sind scharf auf unser Gold!“
In seiner Stimme schwingt Hass.
„Sie glauben, sie tun es für den Herrn“, wendet Gregor schüchtern ein. „Der römische Papst hat sie geschickt und ihnen gesagt: ,Gott will es!‘“
„Klar, dass du deine Glaubensbrüder verteidigst, Gregor“, entgegnet Achmed giftig. „Für dich sind es Gotteskrieger, für mich blutrünstige Bestien.“
In Gregors Augen glänzt es feucht. Seine zarten Hände ballen sich zur Faust. Gleich wird sich der Kleine auf den Großen stürzen , denkt Ben. Er steht ratlos zwischen seinen Freunden: Achmed, von dem er weiß, dass er seinem christlichen Gefährten im Grunde seines Herzens sehr zugetan ist und ihn gegenüber anderen immer verteidigen würde, Gregor, der darunter leidet, dass es ausgerechnet Christen sind, die ihre Stadt nun bedrohen.
Schließlich legt Ben seine Hände auf die Schultern der beiden. „Lasst uns jetzt nicht streiten“, bittet er nur.
Gregor entspannt sich. Die Berührung tut ihm sichtlich gut. „Sie werden sich nicht lange halten. Die Brunnen um die Stadt sind zugeschüttet, manche sollen vergiftet sein“, sagt er hoffnungsvoll.
Ben versteht, dass Gregor bestrebt ist, die Stärke ihrer Verteidigung herauszustreichen, weil damit die Gefahr, die von seinen christlichen Glaubensbrüdern ausgeht, geringer erscheint.
Auf Achmeds Stirn erscheint eine steile Falte. Doch ehe er etwas erwidern kann, nickt Ben zustimmend in Gregors Richtung und ergänzt: „Sie werden auch nichts zu essen finden, denn alles Vieh im Umkreis der Stadt ist vertrieben.“
Achmed schluckt, sieht Ben an und schweigt.
Er hat mich verstanden , denkt Ben.
Sie stehen beieinander mit klopfenden Herzen und unausgesprochen bewegt sie die gleiche Frage: Wie wird sich unser Leben ändern, sollten die Kreuzfahrer die Stadt in die Hände bekommen?
„Was wollt ihr hier oben?! Macht, dass ihr wegkommt!“
Ein Mann der Stadtwache kommt auf sie zu. Die Jungen weichen ihm aus, flitzen zur Treppe zurück.
Auf den steilen Stufen hinunter zur Stadt halten sie lauschend inne. Erst jetzt bemerken sie das wüste Geschrei, das schon seit geraumer Zeit aus dem Gewirr der Gassen dringt.
„Es kommt vom Jaffa-Tor“, sagt Gregor beunruhigt.
„Vielleicht ist eine Vorhut der Kreuzritter aufgetaucht?“, vermutet Ben. Er schaut Achmed fragend an.
Der Ältere schüttelt bedächtig den Kopf. „Das ist kein Kampfeslärm.“ Die Jungen laufen los. Das Jaffa-Tor ist nicht weit.
Bald darauf stoßen sie auf eine Kolonne verzweifelter Menschen. Sie kommt den Suq El-Bazar herunter und zieht durch das sperrangelweit geöffnete Tor hinaus aus der Stadt. Die Männer schleppen Bündel mit Habseligkeiten. Frauen zerren vollbepackte Karren hinter sich her, obenauf schreiende Kinder. Der Zug wird eskortiert von bewaffneten Männern. Lautstark fluchend stoßen sie jeden, der versucht, zu entkommen, zurück in den Zug. Am Straßenrand stehen Neugierige: Muslime in hellen Gewändern und Juden, die vorwiegend schwarz gekleidet sind. Einige von ihnen begleiten das rüde Vorgehen der Wachen mit beifälligem Gejohle und Schmährufen an die Adresse der Unglücklichen. Andere blicken entsetzt. Auch einzelne Protestrufe werden laut.
„Was ist mit ihnen? Wo bringt ihr sie hin?“, ruft Ben einem der Lanzenträger zu.
„Sie müssen aus der Stadt, es sind Christen!“
Ben stockt das Herz. Er kann nicht glauben, was er da eben gehört hat.
„Ihr jagt die Christen aus der Stadt?“
„Wir schicken sie ihren fränkischen Glaubensbrüdern als unnütze Fresser. Das verkürzt die Belagerung.“
Der Mann mit der Lanze lacht.
„Das könnt ihr nicht machen!“, ruft Ben entsetzt.
Das Lachen des Bewaffneten bricht ab. Seine Augen werden schmal. „Bist einer von denen, wie?“
„N… nein“, stottert Ben und weicht unwillkürlich einen Schritt zurück.
„Dann verschwinde und nimm deine Freunde mit, sonst geht ihr mit nach draußen!“
Der Mann schaut sie unwirsch an, wendet sich schließlich ab und stößt eine junge Frau, die mit ihrem Bündel zu dicht an ihm vorüberläuft, in die Kolonne zurück.
Gregor ist bleich geworden. Auf seiner Stirn steht kalter Schweiß.
„Ich muss los“, sagt er tonlos. „Meine Eltern suchen …“
Mechanisch die Füße voreinander setzend, beginnt er, dem Zug der Unglücklichen entgegenzulaufen. Ben und
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