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Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Magister
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plötzlich wieder wie ausgewechselt. Gut gelaunt verkündet er: „Nun, ich möchte mich für Ihre Gastfreundschaft bedanken, Herr Hakim. Natürlich ist mir nicht verborgen geblieben, dass Ihre Reserven an Essbarem im Haus zur Neige gehen. Gestatten Sie deshalb, dass ich Sie nun meinerseits zu einem Mahl einlade, das nicht ganz so bescheiden ist und auch meine Männer zufriedenstellen dürfte. Wir sind in der glücklichen Lage, dass unsere Vorräte reichlich bemessen sind.“
    „Was Sie nicht sagen … Trotz der wochenlangen Belagerung?“ Für Ben klingt die Frage, die sein Vater mit ungläubigem Staunen stellt, dumpf, als hätte er Watte in den Ohren. Mit pochendem Herzen fragt er sich, wen die Barbaren diesmal auserkoren haben. Ihren eigenen Kumpan etwa, den sie gerade hinrichten? Aber sie werden doch nicht ihren eigenen Glaubensbruder …?
    „Es ist alles eine Frage der guten Führung, Herr Hakim, aber ich wiederhole mich“, schwadroniert der Graf. „Auf Ihrem Hof habe ich Feuerholz gesehen. Geben Sie uns etwas Zeit für die Zubereitung und wir werden Ihnen auf diesem edlen Geschirr einen saftigen Braten kredenzen.“
    „Das klingt sehr verlockend, Herr Graf, aber seien Sie mir nicht böse, wenn ich ablehne, ich möchte Ihre Zeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen.“
    Eine leise Hoffnung keimt in Ben auf. Sein Vater möchte die ungebetenen Gäste offenbar schnell aus dem Hause haben. Vielleicht verschwinden die Kreuzfahrer tatsächlich, geben sich mit dem neu gewonnenen Reichtum zufrieden.
    Doch Wolfenhagen macht seine Hoffnung zunichte.
    „Aber nicht doch, Herr Hakim, wir haben keine Eile“, erklärt er. „So lange sich dort draußen die Wogen nicht geglättet haben, werden wir Ihre Gastfreundschaft in Anspruch nehmen. Es wäre töricht, mit all diesen Kostbarkeiten die Habgier dieser mordlustigen Habenichtse aufzustacheln. Am Ende vergessen sie noch, wer Freund und wer Feind ist. Also, Herr Hakim, Sie können meine Einladung getrost annehmen. Und bedenken Sie: Gutes Essen hält Leib und Seele zusammen.“
    „Da haben sie freilich Recht, Herr Graf“, sagt Bens Vater matt.
    „Na also, Herr Hakim. Ich kann Sie ja verstehen, dass Ihnen die ganze Geschichte auf den Magen geschlagen ist, aber glauben Sie mir, der Appetit kommt beim Essen.“
    Er schaut Hakim mit seinen unergründlich grauen Augen an und sagt beiläufig, während er ein nicht vorhandenes Staubkorn von seinem rot-gelb gestreiften Ärmel schnipst: „Eine Bitte noch: Könnte uns Ihr Sohn auf dem Hof ein wenig zur Hand gehen? Es geht schneller, wenn jemand dabei ist, der sich auf dem Anwesen auskennt.“
    Es ist das Grauen, das Ben nun nach dem Herzen greift. Wie gelähmt steht er da mit zugeschnürter Kehle und hört, wie sein Vater sagt: „Warum nicht? Der Schlingel kennt jede Ecke in Haus und Hof, nicht wahr, Ben?“
    Ben klappt den Mund auf, will den Eltern in seiner Angst endlich die Augen öffnen über diese Barbaren, doch seiner Kehle entfährt nur ein heiseres, unartikuliertes Krächzen. Dafür hört er Gregor rufen: „Flieh, Ben! Du musst fliehen!“
    Doch Ben kann nicht, sein Körper gehorcht ihm nicht. Nur schemenhaft nimmt er wahr, was um ihn herum vorgeht.
    Er vernimmt die Stimme des Grafen: „Der Kleine ist ganz wirr vor Hunger. Warum sollte Ihr Sohn fliehen, Herr Hakim? Auf der Straße lauert der Tod.“
    Darauf die Stimme des Vaters: „He, Ben, was ist mit dir? Hilf doch bitte diesen Herrschaften.“
    Plötzlich ein schriller, durchdringender Ton. Die Flöte von Gregor. Ben zuckt zusammen. Es schmerzt in den Ohren. Der Ton bricht ab. Dafür ein Schluchzen.
    „Ganz ruhig, Gregor! Er geht doch nur auf den Hof, was soll ihm da geschehen?“
    Das war Djamilas weiche Stimme, einschmeichelnd, tröstend.
    Jemand führt ihn, Ben, aus dem Raum, die Treppe hinab. Willenlos setzt er die Füße Stufe für Stufe. Die Hoftür quietscht in den Angeln. Draußen zwei Pyramiden aus Spießen, dazwischen brennendes Feuerholz. Er sieht sich umringt von lauernden Gesichtern. Eine Klinge blitzt auf, der Seldschukendolch, ein hässliches, reißendes Geräusch. Er spürt, wie die Kleidung von ihm abfällt.
    „Flieh, Ben, flieh!“
    War das Gregor, der wieder gerufen hat?
    Endlich kommt Leben in seinen Körper. Er beginnt zu laufen. Zur Hofmauer! Wie oft hat er sie schon erklommen im Wettstreit mit seinen Freunden, gewandt wie eine Katze, ein Griff, ein Tritt, ein kurzer Schwung, es ist immer so einfach gewesen.
    Warum aber kommt die Mauer so

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