Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
Leben hing nur noch an einem seidenen Faden. Er saß mit seiner Familie im Turm der Tempelritter - und dieser mächtige Freimaurerorden forderte lautstark, den König vor Gericht zu stellen.
Talleyrand hatte man in Abwesenheit den Prozeß gemacht und ihn für schuldig befunden. Zwar lag dem Gericht nichts von seiner Hand Geschriebenes vor, das gegen ihn sprach, aber LaPortes beschlagnahmte Briefe ließen erkennen, daß sein Freund, der Bischof, als ehemaliger Präsident der Nationalversammlung, bereit sei, den Interessen des Königs zu dienen - für eine bestimmte Summe.
Talleyrand stieß den Angelhaken durch das Stück Speck, das Courtiade ihm reichte, und warf die Leine mit einem Seufzer wieder in das Wasser der Themse. Es war ihm zwar gelungen, Frankreich legal mit einem Paß und in einer diplomatischen Mission zu verlassen, aber das nützte ihm jetzt alles nichts mehr. In seinem Land galt er als Verbrecher und wurde gesucht. Damit verschlossen sich ihm die Türen des britischen Adels. Auch die Emigranten in England haßten ihn, weil er seine Klasse verraten hatte, indem er die Revolution unterstützte. Am schlimmsten traf es ihn, daß er hier keine Mittel besaß. Selbst seine Mätressen, auf deren finanzielle Unterstützung er früher rechnen konnte, lebten verarmt in London und verkauften Strohhüte oder schrieben Romane.
Das Leben sah trostlos aus. Die achtunddreißig Jahre seines Lebens versanken spurlos im Strudel des Lebens wie der Köder, den er gerade in das dunkle Wasser geworfen hatte. Aber er hielt die Angel noch in der Hand. Zwar sprach Talleyrand selten darüber, aber er vergaß nie, daß Karl der Kahle zu seinen Vorfahren gehörte, ein Enkel von Karl dem Großen. Adalbert von Périgord hatte Hugo Capet auf den Thron von Frankreich gesetzt, Taillefer der Eisenfresser war der Held der Schlacht von Hastings gewesen, und Hélie de Talleyrand halte Papst Johannes XXII, die Tiara aufgesetzt. Maurice entstammte der langen Reihe von Königmachern, deren Motto lautete: Reque Dieu - Wir dienen nur Gott. Wenn das Leben düster aussah, dann warfen die Talleyrands von Périgord eher den Fehdehandschuh als das Handtuch.
Talleyrand holte die Leine ein, entfernte den Köder und warf ihn in Courtiades Korb. Der Kammerdiener half ihm beim Aufstehen.
„Courtiade“, sagte Talleyrand und reichte ihm die Angel, „du weißt, in Kürze werde ich neununddreißig.“
„Gewiß“, erwiderte der Kammerdiener, „möchten Monseigneur, daß ich eine Feier vorbereite?“
Talleyrand legte den Kopf zurück und lachte. „Am Ende des Monats werde ich das Haus in der Woodstock Street aufgeben und ein bescheideneres Haus in Kensington beziehen. Ohne Einkünfte werde ich am Jahresende meine Bibliothek verkaufen müssen...“
„Vielleicht haben Monseigneur etwas außer acht gelassen“, erwiderte Courtiade höflich, half Talleyrand beim Ausziehen des Wamses und hielt ihm dann die Samtjacke, „und zwar etwas, das das Schicksal Ihnen zur Verfügung stellt, um mit solchen schwierigen Situationen fertig zu werden. Ich denke an die Gegenstände, die zur Zeit hinter den Büchern in Monseigneurs Bibliothek in der Woodstock Street aufbewahrt werden.“
„Es ist kein Tag vergangen, Courtiade“, erwiderte Talleyrand, „an dem mich dieser Gedanke nicht beschäftigt hätte. Ich glaube allerdings nicht, daß sie verkauft werden dürfen.“
„Wenn ich mir die Frage erlauben darf“, sagte Courtiade, legte Talleyrands Kleidungsstücke zusammen und griff nach den Lackschuhen, „haben Monseigneur in letzter Zeit etwas von Mademoiselle Mireille gehört?“
„Nein“, gestand er, „aber sie ist eine tapfere Frau, und sie ist auf dem richtigen Weg. Ich will damit sagen, der Schatz, der sich jetzt in meinem Besitz befindet, ist vielleicht von größerem Wert als sein Gewicht in Gold. Warum haben so viele alles daran gesetzt, ihn zu finden? Das Zeitalter der Illusion ist in Frankreich vorüber. Der König ist gewogen und wie alle Könige als zu leicht befunden worden. Sein Prozeß wäre eine reine Formsache. Aber Anarchie kann nicht einmal die schwächste Herrschaft ersetzen. Frankreich braucht jetzt einen Führer, keinen Herrscher. Und wenn er kommt, werde ich ihn als erster erkennen.“
„Monseigneur meinen damit einen Mann, der Gottes Willen dient und den Frieden in unserem Land wiederherstellt“, sagte Courtiade und bückte sich, um Eis auf die Fische im Korb zu legen.
„Nein, Courtiade.“ Talleyrand seufzte. „Wenn Gott Frieden auf
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