Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
erforderlich“, sagte David. „Es scheint um die Frage zu gehen, ob man über das Schicksal des Königs in einem Volksentscheid abstimmen lassen möchte.“
„Ja, deshalb treffen wir uns heute“, bestätigte Robespierre, „die Girondisten befürworten es. Aber ich fürchte, wenn wir zulassen, daß die Wahlberechtigten aus der Provinz ihre Stimmen abgeben, führt das zu einem Erdrutsch und zur Rückkehr der Monarchie. Übrigens, da wir von Girondisten sprechen. Ich möchte Sie mit dem jungen Engländer bekannt machen, der gerade auf uns zukommt. Er ist ein Freund von André Chénier, dem Dichter. Ich habe ihn heute abend in den Club eingeladen, damit seine romantischen Illusionen von der Revolution vielleicht verfliegen, wenn er den linken Flügel in Aktion sieht!“
David sah einen großen, schlaksigen jungen Mann näher kommen. Er hatte eine blasse Haut, dünne glatte Haare, die er aus der Stirn kämmte, und er ging leicht vorgebeugt. Er trug einen schlechtsitzenden Gehrock, der aussah, als habe er ihn beim Lumpensammler erworben. Anstelle einer Schleife hatte er ein schmuddeliges schwarzes Tuch um den Hals geknotet. Aber er hatte leuchtende und klare Augen. Eine große lange Nase bildete das Gegengewicht zu dem schwachen Kinn. Die Schwielen an den jungen Händen verrieten, daß er auf dem Land aufgewachsen war und für sich selbst sorgen mußte.
"Das ist der junge William Wordsworth, ein Dichter“, sagte Robespierre, als der junge Mann bei ihnen angelangt war. David streckte ihm die Hand entgegen. „Er ist nun schon seit über einem Monat in Paris -, aber dies ist sein erster Besuch im Jakobiner-Club. Ich mache Sie mit dem Bürger Jacques-Louis David bekannt, einem ehemaligen Präsidenten der Nationalversammlung.“
„Monsieur David!“ rief Wordsworth und drückte Davids Hand herzlich. „Ich hatte die große Ehre, eines Ihrer Bilder in London zu sehen, als ich von Cambridge kam – ‚Der Tod des Sokrates’. Sie sind eine Quelle der Inspiration für jemanden wie mich, dessen größter Wunsch es ist, die Geschichte, die gerade gemacht wird, aufzuzeichnen.“
„Sie sind Schriftsteller?“ fragte David. „Dann sind Sie, wie Robespierre zustimmen wird, im richtigen Augenblick hierhergekommen, um Zeuge eines großen Ereignisses zu werden - des Sturzes der französischen Monarchie.“
„William Blake, der mystische englische Dichter, hat im letzten Jahr ein Gedicht veröffentlicht: The French Revolution, in dem er wie in der Bibel visionär den Sturz der Könige voraussagt. Vielleicht kennen Sie das Gedicht?“
„Ich widme mich mehr Herodot, Plutarch und Livius“, erwiderte David lächelnd, „dort finde ich adäquate Themen für meine Bilder, da ich weder Mystiker noch Poet bin.“
„Merkwürdig“, sagte Wordsworth, „denn in England glauben wir, die Freimaurer stehen hinter der Französischen Revolution, und sie muß man doch bestimmt zu den Mystikern rechnen.“
„Das ist richtig, die meisten von uns gehören zu diesem Orden“, antwortete Robespierre. „Und Talleyrand hat den Jakobiner-Club ursprünglich als einen Orden der Freimaurer gegründet. Aber hier in Frankreich sind die Freimaurer wohl kaum Mystiker -“
„Einige schon“, unterbrach ihn David. „Marat zum Beispiel.“
„Marat?“ fragte Robespierre und zog die AugenBrauen hoch. „Sie scherzen wohl. Wie kommen Sie auf diese Idee?“
„Offen gestanden, ich bin heute nicht nur gekommen, weil Danton mich gerufen hat“, antwortete David zögernd. „Ich wollte auch Sie treffen, denn vielleicht können Sie mir helfen. Sie sprachen über das - Schicksal -, das meinen Schützling im Gefängnis L'Abbaye ereilt hat. Sie wissen, daß ihr Tod kein Zufall war. Marat hat sie verhört und hinrichten lassen, weil er glaubte, daß sie etwas über... Haben Sie schon einmal vom Montglane-Schachspiel gehört?“
Robespierre wurde bei dieser Frage blaß. Der junge Wordsworth blickte verwirrt vom einen zum anderen.
„Wissen Sie, wovon Sie sprechen?“ fragte Robespierre mit zitternder Stimme. „Natürlich - das erklärt, weshalb der Bischof von Autun die beiden Damen seit ihrem Eintreffen in Paris nicht aus den Augen ließ! Wenn Sie doch nur früher mit mir darüber gesprochen hätten - dann wäre er mir nicht durch die Finger geschlüpft!“
„Ich habe die Geschichte nie geglaubt, Maximilien“, sagte David, „ich dachte, es sei nur Aberglaube, eine Legende. Marat glaubt daran. Und Mireille, die das Leben ihrer Cousine retten wollte, bestätigte
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