Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
kleinen Eßzimmer gegenüber. Robespierre entzündete eine Petroleumlampe und goß Cognac, der auf der Anrichte stand, in ein Glas. David zitterte so heftig, daß er das Glas kaum in den Händen halten konnte.
„Ich habe niemandem gesagt, was ich weiß, denn ich wollte zuerst mit Ihnen reden“, erklärte Robespierre. „Ich brauche Ihre Hilfe. Ihr Schützling hat Informationen, die für mich wichtig sind. Ich weiß, weshalb sie bei Marat war - sie ist dem Geheimnis des MontglaneSchachspiels auf der Spur. Ich muß wissen, was in dem Gespräch vor seinem Tod gesagt wurde und ob sie die Möglichkeit hatte, andere heimlich wissen zu lassen, was sie erfahren hat.“
„Aber ich sage Ihnen doch, ich weiß nichts von diesen schrecklichen Dingen!“ rief David und sah Robespierre entsetzt an. „Ich habe nie daran geglaubt, daß es das MontglaneSchachspiel überhaupt gibt, bis mich Andre Philidor aus dem Cafe de la Regence hinausbegleitete - Sie erinnern sich? — und mir alles erzählte. Und als ich Mireille die Geschichte wiederholte...“
Robespierre griff über den Tisch nach Davids Arm. „Ist sie hiergewesen? Sie haben mit ihr gesprochen? Mein Gott, warum haben Sie mir nichts gesagt?“
„Sie erklärte, niemand dürfe erfahren, daß sie hier ist“, jammerte David und hielt sich den Kopf mit beiden Händen. „Sie erschien vor vier Tagen von Gott weiß woher, sie trug ein langes schwarzes Gewand wie die Araber -“
„Sie ist in der Wüste gewesen!“ rief Robespierre, sprang auf und lief erregt auf und ab. „Mein lieber David, Ihr Schützling ist kein unschuldiges Mädchen. Das Geheimnis reicht bis zu den Mauren zurück - und alle Spuren führen in die Wüste, Sie will das Geheimnis aufdecken. Sie hat Marat deshalb kaltblütig ermordet. Sie steht im Mittelpunkt dieses mächtigen und gefährlichen Spiels! Sie müssen mir sagen, was Sie außerdem noch von ihr erfahren haben, bevor es zu spät ist.“
„Ich habe Ihnen die Wahrheit gesagt!“ rief David beinahe unter Tränen. „Und ich bin ein toter Mann, wenn man entdeckt, wer sie ist. Marat hat man gehaßt und gefürchtet, solange er lebte, aber nachdem er tot ist, wird man seine Asche im Pantheon aufbewahren. Sein Herz kommt als Reliquie in den Jakobiner-Club.“
„Ich weiß“, sagte Robespierre leise, „deshalb bin ich gekommen. Mein lieber David, vielleicht kann ich etwas tun, um Ihnen beiden zu helfen - aber nur wenn Sie mir zuerst helfen. Ich glaube, Ihr Schützling Mireille vertraut Ihnen. Sie wird Ihnen alles sagen, mit mir hingegen wird sie sich weigern auch nur zu sprechen. Wenn ich Sie unauffällig zu ihr ins Gefängnis bringe...“
„Bitte, verlangen Sie das nicht von mir!“ rief David. „Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um ihr zu helfen, aber Ihr Vorschlag kann uns alle den Kopf kosten!“
„Sie verstehen mich nicht“, sagte Robespierre ruhig und setzte sich wieder, aber diesmal neben David. Er nahm die Hand des Künstlers in seine Hand. „Mein lieber Freund, ich weiß, Sie sind ein engagierter Revolutionär. Aber Sie wissen nicht, daß das Montglane-Schachspiel die Ursache des Sturms ist, der in ganz Europa die Monarchien hinwegfegt und der die Menschheit für immer vom Joch der Unterdrückung befreien wird.“ Er holte eine Flasche Portwein von der Anrichte und schenkte sich ein Glas ein. Dann fuhr er fort:
„Vielleicht sollte ich Ihnen erzählen, wie ich in das Spiel hineingezogen worden bin, denn dann werden Sie mich verstehen. Es ist ein Spiel im Gange, mein lieber David - ein gefährliches und tödliches Spiel, das die Macht der Könige vernichtet. Das vollständige Montglane-Schachspiel muß in die Hand von Leuten wie uns kommen, die das machtvolle Werkzeug nutzen werden, um jene unschuldigen Tugenden zu fördern, für die Jean-Jacques Rousseau eingetreten ist. Und Rousseau selbst hat mich für das Spiel ausgewählt.“
„Rousseau!“ flüsterte David ehrfurchtsvoll. „Er hat nach dem Montglane-Schachspiel gesucht?“
„Philidor kannte ihn und ich auch“, erwiderte Robespierre, holte ein Blatt Papier aus der Tasche und suchte etwas zum Schreiben. David zog eine Schublade der Anrichte auf, kramte dann herum und reichte ihm einen Stift. Robespierre zeichnete eine Skizze.
„Ich habe ihn vor fünfzehn Jahren kennengelernt. Ich war damals ein junger Anwalt. Eines Tages erfuhr ich, der von mir verehrte Philosoph Rousseau sei schwer erkrankt und befinde sich nicht weit vor den Toren von Paris. Ich bat Rousseau in aller
Weitere Kostenlose Bücher