Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
nicht selbst getötet, auch Simonne nicht. Ich werde Ihnen sagen, wer es getan hat, wenn Sie mir sagen, was Sie mit Ihren Figuren gemacht haben. Ich werde Ihnen sogar verraten, wo unsere Figuren versteckt sind, obwohl es Ihnen wenig helfen wird...“
Zweifel und Angst erfaßten Mireille. Wie konnte sie ihm trauen? Er hatte ihr schon einmal sein Wort gegeben und dann Valentine hinrichten lassen.
„Nennen Sie mir den Namen der Frau und sagen Sie mir, wo die Figuren sind“, rief sie schließlich. Sie trat zur Badewanne und griff nach dem Messer. „Sonst erfahren Sie von mir nichts.“
„Sie halten ein Messer in der Hand“, keuchte Marat, „aber meine Verbündete ist die mächtigste Spielerin bei diesem Spiel. Sie werden sie niemals vernichten können - nie! Ihre einzige Hoffnung besteht darin, sich mit uns zu verbünden und Ihre Figuren mit unseren zu vereinen. Einzeln bleiben sie wertlos, aber zusammen sind sie der Schlüssel zur Macht. Fragen Sie Ihre Äbtissin, wenn Sie mir nicht glauben. Sie kennt diese Frau. Sie ist in ihrer Macht. Ihr Name ist Katharina - sie ist die weiße Dame!“
„Katharina!“ rief Mireille, und die Gedanken überschlugen sich in ihrem Kopf. Die Äbtissin war nach Rußland gefahren! Die Freundin ihrer Kindheit... Talleyrands Geschichte... Diese Frau hatte Voltaires Bibliothek erworben... Katharina die Große, Zarin von Rußland! Aber wie konnte diese Frau gleichzeitig die Freundin der Äbtissin und die Verbündete Marats sein?
„Sie lügen“, sagte sie. „Wo sind die Figuren?“
„Ich habe Ihnen den Namen genannt“, rief Marat bleich vor Erregung. „Aber ehe ich mehr sage, müssen Sie beweisen, daß auch Sie mir vertrauen. Wo sind die Figuren, die in Davids Garten versteckt waren? Sagen Sie es!“
Mireille holte tief Luft, umklammerte das Messer und sagte: „Ich habe sie außer Landes bringen lassen. Sie sind in England.“ Bei diesen Worten schloß Marat die Augen. Mireille glaubte in dem entstellten Gesicht zu sehen, wie er die veränderten Positionen überdachte. Dann schlug er die Augen auf und rief:
„Natürlich! Ich bin ein Narr! Sie haben die Figuren Talleyrand gegeben! Mein Gott, auf mehr hätte ich nicht hoffen können!“ Er versuchte sich in der Badewanne aufzurichten.
„Er ist in England!“ rief er. „In England! Dann bekommt sie die Figuren!“ Er warf die Schreibunterlage zu Boden. Das Wasser spritzte in der Wanne. „Simonne! Hast du gehört! Schnell! Schnell!“
„Nein!“ rief Mireille. „Sie wollten mir sagen, wo die Figuren sind!“
„Kleine Närrin!“ Er lachte, hustete und keuchte. Jemand hämmerte an die Tür. Sie stieß Marat in die Wanne, packte ihn bei den Haaren und setzte das Messer an seine Brust.
„Sagen Sie mir, wo die Figuren sind!“ schrie sie, und ihre Worte gingen im Lärm an der Tür unter. „Sagen Sie es!“
„Feiges Weib!“ zischte er, der Speichel sprühte aus seinem Mund. „Tu es und sei verflucht! Du hast verspielt... verspielt!“
Mireille starrte ihn an. Sie hörte das Geschrei von Frauen und sah das höhnisch grinsende Gesicht vor sich. Er will, daß ich ihn umbringe, dachte sie entsetzt. Woher willst du die Kraft nehmen, einen Mann zu töten ?... Ich rieche die Rache an dir, so wie ich Wasser dem Geruch nach finde, hörte sie Schahins Stimme, und sie übertönte das Geschrei und Hämmern an der Tür. Was meinte Marat mit ‘verspielt’? Warum hatte er gerufen: „Dann bekommt sie die Figuren!?“
Der Türriegel gab nach, als Simonne sich mit aller Gewalt gegen die Tür warf. Das morsche Holz um das Türschloß barst. Mireille starrte in Marats eiterndes Gesicht. Sie holte tief Luft und stieß zu. Blut spritzte aus der Wunde und auf ihr Kleid. Sie stieß ihm das Messer bis zum Griff in die Brust.
„Gut so, der richtige Punkt...“, flüsterte er, und Blut quoll ihm aus dem Mund. Sein Kopf fiel zurück, und mit jedem Schlag seines Herzens schoß ihm das Blut aus der Kehle. Mireille zog das Messer wieder heraus und ließ es zu Boden fallen. In diesem Augenblick wurde die Tür aufgerissen.
Simonne Évrard rannte ins Zimmer. Albertine folgte ihr und fiel mit einem Schrei in Ohnmacht. Während Mireille benommen zur Tür wankte, kreischte Simonne:
„Mein Gott! Sie haben ihn umgebracht! Sie haben ihn umgebracht!“ Sie rannte zur Wanne und fiel auf die Knie, um das Blut mit dem Handtuch zu stillen. Mireille lief wie in Trance durch den Flur. Die Haustür wurde aufgerissen, und mehrere Nachbarn stürzten ins Haus. Mireille lief
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