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Katherine Neville - Das Montglane-Spiel

Katherine Neville - Das Montglane-Spiel

Titel: Katherine Neville - Das Montglane-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malaxis
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Phönizier gründete sich auf Inseln. Sie verehrten die Mondgöttin Car. Und wie der Mond Ebbe und Flut bestimmt, so herrschten die Phönizier auf den Meeren, aus denen das größte aller Geheimnisse kommt - das Leben.“
Ein phönizisches Ritual - das löste bei mir eine dunkle Erinnerung aus. Aber in diesem Augenblick verstummten die wartenden Menschen um uns herum. Fanfarenbläser erschienen auf den Palaststufen und kündigten den Dogen von Venedig an. Angetan mit kostbaren Purpurgewändern und umgeben von Musikanten mit Lauten, Flöten und Leiern, die eine geheimnisvoll überirdische Musik spielten, trat er durch die Porta della Carta. Ihm folgten die Gesandten des Heiligen Stuhls in weißen liturgischen Gewändern und mit edelsteinbesetzten, golddurchwirkten Mitren.
Casanova schob mich vorwärts, als die Prozession sich zur Piazzetta bewegte und am Ort der Gerechtigkeit anhielt - eine Mauer mit biblischen Szenen des Letzten Gerichts. Dort hatte man während der Inquisition die Häretiker erhängt. Hier standen auch die monolithischen Säulen von Akkon, die man während der Kreuzzüge von den Küsten des alten Phönizien hierhergebracht hatte. Hatte es etwas zu bedeuten, daß der Doge mit seinem Gefolge gerade an diesem Punkt schweigend stehenblieb?
Kurze Zeit später rückte die Prozession unter den Klängen der feierlichen Musik weiter. Man entfernte die Absperrungen, damit die Menge der Prozession folgen konnte. Casanova und ich hakten uns unter, um uns inmitten der vielen Menschen nicht zu verlieren. Und plötzlich dämmerte mir etwas - was, kann ich nicht erklären. Ich hatte das Gefühl, Zeuge eines Rituals zu sein, das so alt war wie die Zeit. Es war dunkel, geheimnisvoll, erfüllt von Menschheitsgeschichte und Symbolen. Es war gefährlich.
Die Prozession schob sich in einer Art Schlangenlinie über die Piazzetta und durch die Arkaden der Loggetta zurück. Ich hatte dabei das Gefühl, tiefer und tiefer in das Innere eines dunklen Labyrinths einzudringen, aus dem es kein Entrinnen gab. Mich bedrohte nichts; es war inzwischen Tag, und ich befand mich unter zahllosen Menschen - und doch hatte ich Angst. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, es war die Musik - die Bewegung -, die Zeremonie selbst, die mir Furcht einflößte, jedesmal, wenn wir im Einklang mit dem Dogen stehenblieben - vor einem Denkmal oder einer Skulptur -, spürte ich, wie das Pochen in meinen Adern stärker wurde, als werde durch Klopfzeichen in meinem Kopf eine Nachricht übermittelt, die ich nicht verstand. Casanova beobachtete mich aufmerksam. Der Doge war wieder stehengeblieben.
„Das ist die Statue von Merkur, dem Götterboten“, flüsterte er, als wir die Bronzestatue mit der tanzenden Gestalt erreichten. „In Ägypten nannte man ihn Thoth — den Richter. In Griechenland nannte man ihn Hermes - Führer der Seelen - denn er brachte die Seelen in die Unterwelt und überlistete manchmal selbst die Götter, indem er die Seelen wieder befreite. Er galt auch als der König der Schwindler, der Gaukler und Narren - der Narr im Tarot -, und er war der Gott der Diebe. Hermes erfand die Leier mit den sieben Saiten - die Oktave -, bei deren Klängen die Götter vor Freude weinten.“
Ich betrachtete die Statue lange, ehe wir weitergingen. Das war der flinke und gerissene Gott, der Menschen aus dem Totenreich befreien konnte. Mit seinen geflügelten Sandalen und dem leuchtenden Caduceus - dem Stab, auf dem die zwei Schlangen eine Acht bilden - herrschte er über das Land der Träume, über die Zauberwelten, über Glück und Zufall und über Spiele aller Art. War es ein Zufall, daß seine Statue dieser feierlichen Prozession listig und zufrieden zulächelte? Oder war es in den dunklen Nebeln der Zeit sein Ritual gewesen?
Der Doge blieb oft auf diesem metaphysischen Weg stehen - insgesamt sechzehnmal. Und ganz allmählich verstand ich den Sinn. Aber erst beim zehnten Halt - vor der Mauer des Casrello - setzte sich das Bild für mich zusammen.
Diese Mauer war über drei Meter dick und mit vielfarbigen Steinen bedeckt. Casanova übersetzte mir die Inschrift, die älteste in venezianisch abgefaßte:
    Wenn ein Mensch sagen und tun könnte, was er denkt, Dann würde er sehen, wie er sich verwandelt.
    Und in der Mitte der Mauer befand sich ein einfacher weißer Stein, den der Doge und sein Gefolge mit solcher Ehrfurcht betrachteten, als verberge sich in ihm ein Wunder. Plötzlich durchlief mich ein kalter Schauer. Mir schien ein Schleier von den

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