Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
Ich muß wieder nach oben und Solarin helfen.“
Als ich mit dem nassen Verbandskasten aus der Toilette kam, hatte Lily sich in das obere Bett gelegt und stöhnte, als sei ihr Ende nahe. Carioca verkroch sich auf der Suche nach einem warmen Plätzchen unter ihr. Ich strich ihnen beiden tröstend über den Kopf. Dann kämpfte ich mich wieder die Treppe hinauf, während das Boot unter mir rollte und stampfte. Es war inzwischen noch heller geworden - der Himmel sah wie Milchschokolade aus -, und in der Ferne sah ich etwas auf dem Wasser, das ein Sonnenfleck sein konnte. War das Schlimmste wirklich überstanden? Erleichterung erfaßte mich, als ich mich neben Solarin setzte.
„Es gibt kein trockenes Verbandszeug“, sagte ich, öffnete die Metallschachtel und sah mir den nassen Inhalt an. „Aber hier gibt es Jod und eine Schere...“Solarin warf einen Blick auf die Medikamente und fischte eine dicke Salbentube heraus. Er gab sie mir, ohne mich anzusehen.
„Schmier das auf die Wunden“, sagte er und starrte auf die Wellen, während er sich mit einer Hand das Hemd aufknöpfte. „Das wirkt desinfizierend und blutstillend. Dann kannst du mein Hemd zerreißen und mich damit verbinden.. .“
Ich half ihm, das nasse Hemd über die Schulter und über den Arm zu ziehen. „Der Sturm flaut ab“, sagte er mehr zu sich selbst, „aber die Probleme kommen erst. Die Spiere ist gebrochen und der Klüver zerfetzt. Wir schaffen es nie nach Marseille. Außerdem sind wir weit vom Kurs abgetrieben, ich muß unsere Position bestimmen. Wenn du mich verbunden hast, übernimmst du eine Weile das Steuer, und ich sehe mir die Karten an.“ Mit maskenhaftem Gesicht starrte er auf das Meer, und ich versuchte, ihn nicht anzusehen. Er saß dicht neben mir und war bis zur Hüfte nackt. Was ist mit mir nur los? dachte ich. Mein Verstand mußte wohl unter all den Katastrophen gelitten haben, denn während das Boot auf den Weilen tanzte, konnte ich nur noch an seine warmen Lippen denken und an seine Augen, die mich durchbohrten...
„Wenn wir es nicht nach Marseille schaffen“, sagte ich und zwang meine Gedanken in eine andere Richtung, „fliegt die Maschine dann ohne uns?“
„Ja“, antwortete Solarin und lächelte sonderbar, „welch eine Strafe - wir werden vielleicht auf einer einsamen Insel stranden und sind dort monatelang von der Welt abgeschnitten.“ Ich kniete neben ihm und verteilte die Salbe auf seinem Kopf, während er redete. „Wie schrecklich ... was würdest du dann tun? Allein mit einem verrückten Russen, der nur Schach spielen kann?“
„Vermutlich würde ich auf diese Weise Schachspielen lernen“, erwiderte ich und wollte seinen Kopf bandagieren. Aber er zuckte zusammen. „Ich glaube, das kann warten“, sagte er und umklammerte plötzlich meine Handgelenke. Er zog mich hoch. Unsere Lippen und unsere Körper trafen sich. Salzwasser tropfte mir in den offenen Mund, als er mein Gesicht mit Küssen bedeckte und die Hände in meinen nassen Haaren vergrub. Trotz der Kälte spürte ich, wie in mir eine unbeschreibliche Wärme aufstieg. Ich umfaßte seine Schultern und drückte mein Gesicht an seine nackte Brust. Solarin flüsterte in mein Ohr, während das Boot sich hob und senkte, und uns wiegte, als wir uns aneinanderdrückten...
„Ich wollte dich schon damals vor dem Turnier.“ Er hob meinen Kopf und sah mir in die Augen. „Ich wollte dort mit dir auf der Stelle schlafen - unter den Augen der Arbeiter. Als ich in der Nacht in dein Apartment ging, um dir die Nachricht zu hinterlassen, wäre ich beinahe geblieben. Ich hoffte, du würdest kommen und mich finden...“
„Du wolltest mich bei dem Spiel begrüßen?“ Ich mußte lächeln. „Zum Teufel mit dem Spiel“, sagte er bitter. „Sie haben mir gesagt, ich soll mich von dir fernhalten - mich nicht mit dir einlassen. Ich habe keine Nacht mehr schlafen können, ohne daran zu denken, ohne dich in die Arme nehmen zu wollen. Mein Gott, ich hätte es von
Anfang an tun sollen...“ Er knöpfte mir die Bluse auf. Seine Hände glitten über meine Haut, und ich spürte eine Welle der Kraft überspringen, die mich wie ein Sog erfaßte und nur noch an das eine denken ließ.
Er hob mich mit einer einzigen Bewegung hoch und legte mich auf die nassen, zusammengebauten Segel. Die Gischt schäumte immer wieder über die Reling, wenn das Boot in ein Wellental sank. Die Masten knarrten, und über den Himmel legte sich ein blaßgelber Schleier.
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