Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
tun?“ fragte ich.
Solarin lächelte und zog sanft an meinen Haaren. „Kleine Mädchen unterscheiden sich ein wenig von kleinen Jungen“, sagte er, „soll ich es dir beweisen?“
Ich mußte lachen. „Was du nicht sagst...“
PETERSBURG Oktober 1798
Paul I., der Zar von Rußland, lief in seinen Gemächern auf und ab. Er schlug mit der Peitsche gegen die dunkelgrüne Reithose seiner Uniform. Er war stolz auf diese Uniformen aus rauhem Stoff, die nach dem Vorbild der preußischen geschneidert waren, die die Truppen Friedrichs des Großen trugen. Paul entfernte ein imaginäres Stäubchen von seiner kurzen Weste und sah seinen Sohn Alexander mit hochgezogenen Augenbrauen an, der militärisch stramm auf der anderen Seite des Raums stand.
Er ist wirklich eine Enttäuschung, dachte Paul. Er war blaß, melancholisch und sah so gut aus, daß man ihn als hübsch bezeichnen konnte. Die blaßgrauen Augen, die er von seiner Großmutter geerbt hatte, wirkten geheimnisvoll und verklärt. Aber er besaß nicht ihren Verstand. Ihm fehlte alles, was man von einem Herrscher erwartete.
In gewisser Weise ist das sein Glück, dachte Paul. Der Einundzwanzigjährige wünschte sich nämlich alles andere, als den Thron zu besteigen, den Katharina ihm zugedacht hatte. Er ließ sogar erklären, er werde abdanken, wenn man ihm diese Verantwortung übertragen sollte. Alexander wollte lieber das ruhige Leben eines Gelehrten führen, irgendwo in Abgeschiedenheit leben, anstatt am verführerischen, aber gefährlichen Hof in Petersburg. Aber sein Vater erlaubte ihm nicht, sich auf das Land zurückzuziehen.
Als Alexander jetzt durch die Fenster auf den herbstlichen Park blickte, schienen seine leeren Augen zu beweisen, daß er sich nur seinen Tagträumen überließ. In Wirklichkeit beschäftigten ihn viele Gedanken. Unter den seidenen Locken saß ein Verstand, der sehr viel vielschichtiger war, als Paul sich vorstellen konnte. Alexander dachte darüber nach, wie er ein bestimmtes Thema anschneiden konnte, ohne das Mißtrauen seines Vaters zu wecken - ein Thema, das seit Katharinas Tod vor zwei Jahren am Hof nicht mehr zur Sprache gekommen war: die Äbtissin von Montglane.
Alexander hatte einen sehr wichtigen Grund, herauszufinden, was aus der alten Dame geworden war, die wenige Tage nach dem Begräbnis seiner Großmutter spurlos von der Bildfläche verschwunden war. Aber noch ehe ihm ein geeigneter Ansatzpunkt einfiel, sah Paul ihn durchdringend an. Er klatschte noch immer wie ein alberner Spielzeugsoldat mit der Gerte an die Hose. Alexander versuchte, ihm zuzuhören.
„Ich weiß, dir liegt nichts an Regierungsgeschäften“, sagte er abschätzig, „aber du solltest etwas mehr Interesse zeigen. Schließlich wird dieses Reich einmal dir gehören. Mein Tun heute wird morgen deiner Verantwortung überlassen sein. Ich habe dich gerufen, um dir unter dem Siegel der Verschwiegenheit etwas anzuvertrauen, was die Zukunft Rußlands verändern kann.“ Er schwieg, um die Ankündigung wirken zu lassen, dann erklärte er mit Pathos; „Ich habe mich zu einem Bündnis mit England entschlossen.“
„Aber Vater, du haßt doch die Engländer!“ sagte Alexander.
„Ja, ich verachte sie“, sagte Paul, „aber mir bleibt keine andere Wahl. Den Franzosen reicht es nicht, das österreichische Reich zu zerstückeln, sie dehnen ihre Grenzen in alle Richtungen aus und schlachten die Hälfte ihrer Bevölkerung ab, um sie zum Schweigen zu bringen. Jetzt haben sie diesen blutdürstigen General Buonaparte über das Meer geschickt, um Malta und Ägypten zu erobern!“ Er knallte die Reitpeitsche auf den Sekretär, und sein Gesicht verdüsterte sich. Alexander schwieg.
„Ich bin der gewählte Großmeister der Malteserritter!“ schrie Paul und klopfte an einen goldenen Orden an einem dunklen Band, das an seiner Brust hing. „Ich trage den achteckigen Stern des Malteserkreuzes! Diese Insel gehört mir! Seit Jahrhunderten suchen wir einen eisfreien Hafen wie Malta, und beinahe hätten wir ihn gehabt. Aber da kommt dieser französische Bluthund mit seinen vierzigtausend Mann und nimmt ihn uns weg." Er sah Alexander erwartungsvoll an.
„Warum sollte ein französischer General versuchen, ein Land zu erobern, das seit über dreihundert Jahren dem osmanischen Reich ein Dorn im Auge gewesen ist?“ fragte Alexander. Er verstand nicht, weshalb Paul etwas dagegen haben sollte. Napoleons Vorgehen würde doch nur die moslemischen Türken von Rußland ablenken, mit denen
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