Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
immer, aber ich hätte nie geahnt... Also, ich versuchte, eine Schublade mit dem Brieföffner aufzuziehen. Als das nicht gelang, habe ich mir einen Hammer geholt und die Vorderseite eingeschlagen. Dabei habe ich zwei Figuren herausgelöst, aber plötzlich hörte ich jemanden kommen. Ich bin durch die Hintertür hinaus und mit dem Lastenaufzug hinuntergefahren. Mein Gott, ihr müßt mich sofort abholen. Ich kann nicht allein in die Wohnung zurück ...“
Es klickte. Sie hatte aufgelegt. Ich wartete und hoffte auf noch eine Nachricht. Aber es kam nichts mehr.
„Wir müssen sofort los!“ rief ich Nim und Solarin zu, die mich gespannt ansahen. „Ich werde euch unterwegs alles erklären.“
„Was ist mit Harry?“ fragte Nim, während ich Minnies Brief - ungelesen in meine Tasche steckte und nach dem Beutel mit den Figuren griff.
„Ich werde ihn anrufen und ihm sagen, daß wir uns im Palm Court treffen“, erwiderte ich. „Lily hat ein Versteck mit Figuren entdeckt!“
Die Fahrt im dichten Verkehr von Manhattan schien eine Ewigkeit zu dauern. Endlich hielt Nims Wagen mir quietschenden Reifen vor dem Plaza. Die Tauben flatterten entsetzt auf, als ich mit einem Satz hinaussprang und ins Palm Court rannte. Aber Lily war nicht da - auch Harry nicht. Ich warf sogar einen Blick in die Toiletten.
Atemlos kehrte ich zum Wagen zurück.
„Irgend etwas stimmt nicht“, sagte ich zu Nim und Solarin. „Es gibt nur einen Grund dafür, daß Harry nicht hier wartet, Lily war nicht da, als er kam.“
„Oder jemand anders war da“, murmelte Nim. „Sie hat gesagt, daß jemand in die Wohnung kam und daß sie deshalb verschwinden mußte. Sie wissen, daß Lily das Versteck entdeckt hat, und sind vermutlich hinter ihr her. Und auf Harry wartete bestimmt ein Begrüßungskomitee...“ Er ließ den Motor im Leerlauf aufheulen. „Wo würden sie zuerst suchen - bei Mordecai, weil er neun Figuren hat? Oder in der Wohnung?“
„Fahren wir zuerst zur Wohnung“, drängte ich, „es ist ganz in der Nähe. Harry hat mir beim zweiten Anruf gesagt, daß wir Verstärkung erhalten haben.“ Nim sah mich erstaunt an. „Kamel Kader ist in New York“, sagte ich. Solarin drückte mir die Schultern.
Wir alle wußten, jetzt ging es ums Ganze. Mordecai hatte neun Figuren, und wir hatten acht. Mit den sechs, die Lily in dem Sekretär entdeckt hatte, besaßen wir genug, um das Spiel zu gewinnen und möglicherweise auch die Formel zu entziffern. Wer diese Runde für sich entschied, dem war der Sieg sicher.
Nim hielt direkt vor der Tür des Apartmenthauses, sprang hinaus und warf dem verblüfften Portier die Wagenschlüssel zu. Wir drei stürmten wortlos zu den Aufzügen. Ich drückte auf den Knopf. Der Portier eilte hinter uns her.
„Ist Mr. Rad zurückgekommen?“ rief ich über die Schulter, als die Fahrstuhltüren sich öffneten.
Der Mann sah mich überrascht an und nickte.
„Vor etwa zehn Minuten“, murmelte er, „mit seinem Schwager...“
Mehr mußten wir nicht wissen. Im nächsten Augenblick standen wir im Fahrstuhl, doch als die Türen sich schlössen, sah ich etwas aus dem Augenwinkel. Ich streckte die Hand aus, die Türen öffneten sich wieder, und ein kleiner flauschiger Ball sprang herein. Ich hob Carioca hoch. In diesem Moment stürmte Lily atemlos durch die Halle auf uns zu. Ich zog sie in den Fahrstuhl, und die Türen schlossen sich.
„Sie haben dich also nicht erwischt!“ rief ich.
„Nein, aber sie haben Harry!“ keuchte sie. „Ich fand, es war zu riskant, im Palm Court zu warten. Deshalb bin ich mit Carioca in den kleinen Park in der Nähe gegangen. Harry war wirklich verrückt. Er hat den Wagen hier vor dem Haus gelassen und ist zu Fuß gegangen, um mich zu suchen. Sie waren hinter ihm her, nicht hinter mir - Llewellyn und Hermanold. Sie sind an mir vorbeigegangen, ohne mich zu sehen, als wäre ich Luft. Sie haben mich nicht erkannt!“ rief sie kopfschüttelnd. „Ich hatte Carioca mit den beiden Figuren in der Tasche. Hier sind sie!“ Sie klopfte auf die Tasche. „Ich bin ihnen auf den Fersen geblieben, aber auf der anderen Straßenseite. Ich wußte nicht, was ich tun sollte, als sie mit Harry ins Haus gegangen sind. Llewellyn wich nicht von seiner Seite. Vielleicht hat er einen Revolver.“
Die Aufzugstüren öffneten sich, und wir liefen über den Flur - Carioca voran. Lily zog den Wohnungsschlüssel aus der Tasche, als die Tür sich öffnete. Vor uns stand Blanche in einem glänzenden weißen Cocktailkleid und
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