Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
ihm eine Geheimformel, wenn der Betreffende ihn schlagen würde.“
„Was für eine Formel?“
„Ich weiß nicht. Aber als die Zeitungen von dieser Wette berichteten, bekamen die Russen es mit der Angst zu tun. Solarin verschwand über Nacht, und man hat seitdem bis eben vor kurzem nichts mehr von ihm gehört.“
„Eine Formel aus der Physik?“ fragte ich.
„Vielleicht ein Plan für eine Geheimwaffe. Das würde alles erklären, nicht wahr?“ Ich verstand nicht, weshalb das alles erklären sollte, aber ich ließ Lily weiterreden.
„Aus Angst, daß Solarin auf diesem Turnier wieder denselben Trick anwendet, schlägt der KGB zu, beseitigt Fiske, und dann versuchen sie, mich abzuschrecken. Wenn Fiske oder ich gegen Solarin gewonnen hätten, wäre er vielleicht bereit gewesen, uns die Formel zu geben!“ Lily war begeistert von ihrer Erkenntnis, mit der sich ihrer Meinung nach alles erklären ließ. Mich konnte sie damit allerdings nicht überzeugen.
„Gut, das ist eine großartige Theorie“, erwiderte ich, „aber es gibt noch ein paar offene Fragen. Was ist zum Beispiel mit Saul geschehen? Warum haben die Russen Solarin aus dem Land gelassen, wenn sie befürchten mußten, er könne wieder zu einem solchen Trick greifen vorausgesetzt, es war wirklich ein Trick. Und warum in aller Welt sollte Solarin den Plan für eine Geheimwaffe dir oder diesem tattrigen alten Fiske - Friede seiner Seele - in die Hand drücken?“
„Na ja, gut, alles ist noch nicht klar“, räumte sie ein. „Aber es ist ein Anfang.“
„Sherlock Holmes hat einmal gesagt: ‘Es ist ein großer Fehler, Theorien zu entwickeln, bevor man Fakten hat.“ sagte ich. „Ich schlage vor, wir stellen beide ein paar Nachforschungen über Solarin an. Aber ich glaube immer noch, wir sollten zur Polizei gehen. Schließlich können wir zwei Einschußlöcher vorweisen.“
„Auf keinen Fall!“ rief Lily aufgebracht. „Ich werde doch vor der Polizei nicht eingestehen, daß ich dieses Rätsel nicht selbst lösen kann! Strategisches Denken ist meine zweite Natur.“
Nach vielen erregten Worten und einem geteilten Eis mit heißen Himbeeren einigten wir uns schließlich darauf, daß wir in den nächsten Tagen getrennt Nachforschungen über Solarins Hintergrund und Vorgehensweise anstellen würden.
Lilys Schachtrainer war selbst einmal Großmeister gewesen. Lily mußte zwar vor ihrem Spiel am Dienstag noch fleißig trainieren, aber sie glaubte, ihr Lehrer werde einiges über Solarin wissen; sie würde versuchen, es während des Trainings in Erfahrung zu bringen. Außerdem wollte sie herausfinden, was mit Saul geschehen war. Wenn man ihn nicht entführt hatte (es hätte Lilys Sinn für Dramatik mißfallen, wenn es nicht der Fall sein sollte), würde sie früher oder später aus seinem Mund hören, warum er einfach seinen Posten verlassen hatte.
Ich hatte eigene Pläne, die ich nicht unbedingt jetzt schon mit Lily Rad besprechen wollte.
Einer meiner Freunde in Manhattan führte ein noch mysteriöseres Leben als Solarin. Er stand in keinem Telefonbuch, und er hatte keine Postanschrift. Er gehörte zu den lebenden Legenden der Datenverarbeitung, war zwar noch nicht dreißig, hatte aber bereits einige wesentliche Arbeiten über dieses Thema geschrieben. Er war mein Mentor im Computergeschäft gewesen, als ich vor drei Jahren nach New York gekommen war, und er hatte mir in der Vergangenheit mehrmals aus kniffligen Situationen herausgeholfen. Wenn er sich zu seinem Namen bekannte und ihn benutzte, dann hieß er Dr. Ladislaus Nim.
Nim war nicht nur ein Meister im Bereich der Datenverarbeitung, sondern auch ein Schachexperte. Er hatte gegen Reschewski und Fischer gespielt und sich behauptet. Was ihn jedoch vor allem auszeichnete, war sein umfassendes Wissen über alles, was mit Schach zu tun hatte. Und deshalb wollte ich ihn jetzt ausfindig machen. Er hatte alle Weltklassespiele der Schachgeschichte im Kopf. Er war eine wandelnde Enzyklopädie mit den biographischen Daten der Großmeister. Wenn er beschloß, einmal nett zu sein, konnte er stundenlang Anekdoten über die Geschichte des Schachs erzählen. Ich wußte, er würde die Fäden des Knäuels entwirren können, das ich in der Hand zu halten schien. Aber erst mußte ich ihn finden.
Nim finden wollen und ihn finden war natürlich zweierlei. Der KGB und der CIA wirkten im Vergleich zu seinem telefonischen Nachrichtendienst wie geschwätzige Waschweiber. Wenn man anrief, wollte man dort nicht einmal zugeben, daß man
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