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Katherine Neville - Das Montglane-Spiel

Katherine Neville - Das Montglane-Spiel

Titel: Katherine Neville - Das Montglane-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malaxis
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auf dem Bild so ähnlich sein? Ich grübelte darüber nach, fand aber keine Antwort. Ich blickte jedoch vorsichtig nach links und rechts, ehe ich die Straße überquerte.
    Ich ging durch das schmiedeeiserne Tor des UNO-Platzes und lief die Stufen hinauf. Auf der anderen Seite des weißen Betonpflasters saß eine alte, schwarz gekleidete Frau auf einer Steinbank und fütterte die Tauben. Sie hatte ein schwarzes Tuch um den Kopf gebunden, beugte sich vor und warf den Vögeln Körner zu, die gurrend um sie herumflatterten. Vor ihr stand der Mann mit dem Fahrrad.
    Ich blieb stehen und beobachtete die beiden. Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Sie sprachen miteinander. Die alte Frau richtete sich auf und blickte in meine Richtung. Dann sagte sie etwas zu dem Mann. Er nickte kurz, ohne sich umzudrehen, wendete mit einer Hand das Fahrrad und lief schnell die entfernt liegenden Stufen zum Fluß hinunter. Ich zögerte nicht lange und folgte ihm. Die Tauben flatterten auf, nahmen mir die Sicht. Ich lief in Richtung der Stufen und hielt mir die Arme vor das Gesicht, um mich vor dem wilden Geflatter zu schützen.
    Unten, direkt am Fluß, stand die riesige Bronzestatue eines Bauern - ein Geschenk der Russen. Der Bauer schmiedete aus seinem Schwert eine Pflugschar. Vor mir lag der eisige East River. Am anderen Ufer, in Queens, sah ich die große Coca-Cola-Reklame, die von Rauchwolken aus den umstehenden Schornsteinen eingenebelt wurde. Zu meiner Linken befand sich der Park. Die große, von Bäumen umstandene Rasenfläche war mit Schnee bedeckt. Ein Kiesweg, der durch kleinere, kunstvoll geschnittene Bäume vom Rasen abgetrennt wurde, führte am Flußufer entlang. Es war kein Mensch zu sehen.
    Wohin war der Mann verschwunden? Der Park hatte keinen zweiten Ausgang. Ich drehte mich langsam um und ging die Stufen zum Platz hinauf. Auch die alte Frau war nicht mehr da, aber ich sah gerade noch, wie jemand durch den Besuchereingang des UNO-Gebäudes verschwand. In den Fahrradständern stand sein Fahrrad. Wie war er unbemerkt an mir vorbeigegangen? fragte ich mich, als ich in das Gebäude eilte. Die Halle war leer. Nur ein Wachmann stand vor dem ovalen Empfang und unterhielt sich mit einer jungen Empfangsdame.
    „Entschuldigen Sie bitte“, sagte ich, „ist hier gerade ein Mann in einem weißen Jogginganzug hereingekommen?“
    „Ich habe nichts gesehen“, erwiderte der Wachmann unfreundlich; offenbar ärgerte ihn die Störung.
„Wohin würde jemand gehen, wenn er sich verstecken will?“ fragte ich. Jetzt hatte ich ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Sie musterten mich, als sei ich eine potentielle Terroristin. Ich erklärte schnell: „Ich meine, wohin geht man, wenn man allein und ungestört sein will?“ „Die Delegierten gehen in den Meditationsraum“, erwiderte der Wachmann, „dort ist es ruhig. Er ist dort drüben.“ Der Mann deutete auf eine Tür schräg gegenüber. Neben der Tür befand sich ein blaugrünes Buntglasfenster von Chagall. Ich bedankte mich mit einem Nicken und überquerte den rosa und grauen Marmorboden im Schachbrettmuster. Ich betrat den
Meditationsraum. Hinter mir fiel die Tür geräuschlos ins Schloß.
Es war ein dunkler Raum, der an eine Gruft erinnerte. In der Nähe des Eingangs standen mehrere Reihen niedriger Bänkchen. Über eines wäre ich in dem Dämmerlicht beinahe gestolpert. In der Mitte befand sich ein sargähnlicher Steinquader, dessen Oberseite ein winziger Scheinwerfer anstrahlte. In dem kühlen Raum herrschte völlige Stille. Ich spürte, wie sich meine Pupillen weiteten und an die Dunkelheit anpaßten. Ich setzte mich auf eines der niedrigen Bänkchen vor dem Stein. Das Holz knarrte. Die Aktenmappe stellte ich neben mich auf den Boden. Dann betrachtete ich den Stein. Er war in Raummitte aufgehängt und schien frei in der Luft zu schweben. Er vibrierte geheimnisvoll, und es ging eine beruhigende, beinahe hypnotische Wirkung von ihm aus. Als sich die Tür hinter mir geräuschlos öffnete, ein schmaler Lichtstreif in den Raum fiel und die Tür sich ebenso geräuschlos wieder schloß, drehte ich mich wie in Zeitlupe um. „Schreien Sie nicht“, flüsterte hinter mir eine Stimme. „Ich tue Ihnen nichts, aber Sie müssen still sein.“
Mir schlug das Herz bis zum Hals, als ich die Stimme erkannte. Ich sprang auf und fuhr herum. Vor mir im Dämmerlicht stand Solarin. In seinen grünen Augen spiegelte sich zweimal der Steinquader. Ich war so heftig aufgesprungen, daß mir

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