Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
eine oder das andere wollen, aber deine Worte zeigen mir, daß du gezwungen bist, das Schicksal zu erfüllen, das dir in die Wiege gelegt worden ist - die drei Kronen in deiner Hand. Ich aber muß meinem eigenen Schicksal folgen.“
Die Äbtissin hob die Hand und streckte sie mit der Handfläche nach oben ihrer Freundin über den Tisch hinweg entgegen. Nahe der Handwurzel kreuzten sich die Lebenslinie und die Schicksalslinie und bildeten eine Acht. Katharina betrachtete die Hand schweigend, dann fuhr sie langsam mit der Fingerspitze die Linien nach.
„Du möchtest mir deinen Schutz gewähren“, sagte die Äbtissin leise. „Aber mich schützt eine größere Macht, als du sie besitzt.“
„Ich wußte es!“ rief Katharina heiser und schob die Hand der Freundin beiseite. „All das Gerede von hohen Zielen und hehren Absichten bedeutet doch nur: Du hast einen Pakt mit einem anderen geschlossen, ohne zuvor mit mir zu sprechen! Wer ist es, dem du dein Vertrauen fälschlicherweise schenkst? Nenne mir den Namen, ich verlange es!“
„Gern.“ Die Äbtissin lächelte. „ER ist es, der mir dieses Zeichen in die Hand gelegt hat. Und in diesem Zeichen herrsche ich unumschränkt. Du bist zwar Zarin aller Reußen, mein liebes Figchen. Aber bitte, vergiß nicht, wer ich im Grund bin und wer mich auserwählt hat. Denke immer daran: Gott ist der größte Schachmeister.“
NEW YORK März 1973
Auf das Schachturnier folgte ein Montag. Ich erwachte zerschlagen in meinem Bett, stand auf und ließ es in der Wand verschwinden. Dann duschte ich, um mich wieder einmal für einen Tag bei Con Edison vorzubereiten.
Ich trocknete mich mit dem Bademantel ab, lief barfuß in den Flur und suchte unter meinem gesammelten Kunstgewerbe das Telefon. Nach dem Essen mit Lily im Palm Restaurant hatte ich wirklich den Eindruck, wir seien zwei Bauern in einem Spiel, und ich wollte ein paar schlagkräftigere Figuren auf meine Seite des Bretts bringen. Ich wußte genau, wo ich ansetzen mußte.
Lily und ich waren uns beim Essen in dem Punkt einig, daß Solarins Warnung irgendwie mit den unheimlichen Ereignissen dieses Tages in Verbindung stand. Aber sonst vertraten wir andere Ansichten. Lily behauptete steif und fest, Solarin stehe hinter allem.
„Erstens, Fiske stirbt unter mysteriösen Umständen“, faßte sie zusammen, während wir in dem überfüllten Restaurant saßen. „Wer sagt uns, daß Solarin ihn nicht umgebracht hat? Dann verschwindet Saul und läßt meinen Wagen und meinen Hund am Straßenrand stehen. Man muß Saul entführt haben, er hätte sonst niemals seinen Posten verlassen.“
„Stimmt“, sagte ich und schloß die Augen, als ich sah, wie Lily ein riesiges, noch blutiges Steak verschlang. Ich wußte, Saul würde nicht wagen, Lily je wieder unter die Augen zu treten, wenn ihm nicht etwas sehr Außergewöhnliches zugestoßen war. Lily machte sich jetzt daran, einen Berg Salat zu vertilgen und ein halbes Dutzend Brotscheiben, während wir unser Gespräch fortsetzten.
„Dann schießt jemand auf uns“, sagte sie mit vollem Mund, „und wir sind uns beide im klaren darüber, daß der Schuß aus der offenen Glastür des Spielzimmers abgegeben wurde.“
„Es waren zwei Kugeln“, korrigierte ich sie, „vielleicht hat jemand auf Saul geschossen, und er ist aus Angst auf und davon, ehe wir eintrafen.“
„Aber das Wichtigste ist“, sagte Lily und kaute unbeeindruckt weiter an ihrem Brot, „daß ich nicht nur Methode und Mittel, sondern auch das Motiv erkannt habe!“
„Was du nicht sagst!“
„Ich weiß, warum Solarin diese abscheulichen Dinge tut. Ich habe es soeben zwischen Steak und Salat begriffen.“
„Und das wäre?“ fragte ich. Ich hörte Carioca mit Lilys Sachen in der Schultertasche ‚spielen’ und wußte, es war nur eine Frage der Zeit, wann unsere Tischnachbarn das Knurren und Scharren ebenfalls hören würden.
„Erinnerst du dich an den Skandal in Spanien?“ erwiderte sie.
Ich mußte mich kurz besinnen.
„Du meinst die Sache vor ein paar Jahren, als man Solarin nach Rußland zurückgerufen hat?“ Sie nickte, und ich fügte hinzu: „Das hast du mir erzählt.“
„Es ging um eine Formel“, erklärte Lily. „Du mußt wissen, Solarin ist ziemlich früh aus dem Schachwettkampf ausgeschieden. Er spielte nur hin und wieder auf Turnieren. Er gilt als Großmeister, aber er hat außerdem Physik studiert, und von Physik lebt er. Auf dem Turnier in Spanien wettete Solarin mit einem anderen Spieler und versprach
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