Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
es ihm übergab, gab es Gerüchte über das Unheil, das dieses Schachspiel bewirkt. So hieß es, Charlot, ein Neffe Karls des Großen, sei beim Spiel an diesem Brett ermordet worden. Blutvergießen und Gewalttaten, ja sogar Kriege brachte man mit diesem Schachspiel in Zusammenhang.
Die acht schwarzen Mauren, die das Schachspiel aus Barcelona an den Hof nach Aachen gebracht hatten, baten um die Gunst, das Brett und die Figuren auch nach Montglane begleiten zu dürfen. Der König gestattete es. Und bald erfuhr Garin, daß in der Festung geheimnisvolle nächtliche Zeremonien stattfanden, und er wußte, es handelte sich um Rituale der Mauren. Garin begann, das Geschenk des Königs zu fürchten, als sei es ein Werkzeug des Teufels. Er ließ das Schachspiel in der Festung vergraben und bat Karl den Großen, die Mauern mit einem Bannfluch zu schützen, damit niemand es wagen werde, das Schachspiel zu rauben. Der König tat, als handle es sich um einen Scherz, aber er erfüllte Garins Wunsch. Deshalb befindet sich die alte Inschrift über unserem Portal.“ Die Äbtissin schwieg erschöpft. Sie war bleich geworden und tastete nach der Stuhllehne. Alexandrine de Forbin stand auf und half ihr, sich zu setzen.
„Und was ist aus dem Montglane-Schachspiel geworden, Ehrwürdige Mutter?“ fragte eine der älteren Nonnen in der ersten Reihe.
Die Äbtissin lächelte. „Ich habe euch bereits gesagt, daß unser Leben in großer Gefahr ist, wenn wir hier im Kloster bleiben. Ich habe euch gesagt, daß die französischen Soldaten die Kirchengüter beschlagnahmen und in dieser Mission bereits unterwegs sind. Ich habe euch auch gesagt, daß in den Mauern des Klosters ein sehr wertvoller, vielleicht aber auch unheilbringender Schatz begraben ist. Es sollte euch deshalb nicht überraschen, wenn ich sage, das Geheimnis, das zu bewahren ich geschworen habe, als ich mein Amt antrat, ist das Geheimnis des Montglane-Schachspiels. Es ist noch immer in den Mauern und unter dem Boden dieses Raumes begraben. Nur ich allein weiß, wo die einzelnen Figuren und das Brett liegen. Wir haben die Aufgabe, meine Töchter, dieses Werkzeug des Bösen zu entfernen, und die einzelnen Teile soweit wie möglich zu zerstreuen, damit sie nie wieder in die Hände von Menschen gelangen, die nach Macht streben. Denn dieses Schachspiel enthält eine Kraft, die die Gesetze der Natur und das Verständnis der Menschen übersteigt.
Aber selbst wenn wir genug Zeit hätten, die Figuren zu vernichten oder so zu entstellen, daß sie niemand wiedererkennt, würde ich mich nicht für diesen Weg entscheiden. Etwas mit einer so großen Macht kann vielleicht auch als Werkzeug für Gutes benutzt werden. Deshalb habe ich nicht nur geschworen, das Montglane-Schachspiel im verborgenen zu hüten, sondern es auch zu schützen. Wenn der Lauf der Geschichte es zuläßt, werden wir eines Tages die Figuren vielleicht wieder zusammenbringen und ihr dunkles Geheimnis enträtseln.“
Die Äbtissin kannte zwar das genaue Versteck der einzelnen Stücke, aber trotzdem arbeiteten alle Nonnen im Kloster zwei Wochen ohne Unterlaß, bis das Schachspiel ausgegraben und die Figuren gereinigt und poliert waren. Vier Nonnen gelang es schließlich, mit vereinten Kräften das Schachbrett aus seinem Versteck unter dem Steinboden zu heben und ans Licht zu bringen. Man reinigte es und entdeckte seltsame Symbole, die in jedes Quadrat geschnitten oder geprägt waren. Ähnliche Symbole befanden sich auch auf den Unterseiten der Figuren. In einem Metallkasten lag ein Tuch. Die Ritzen des Kastens waren mit einer wachsartigen Masse gegen eindringende Feuchtigkeit verschlossen. Das Tuch aus mitternachtsblauem Samt war reich mit Goldfäden bestickt und mit Edelsteinen in den Symbolen der Tierkreiszeichen besetzt. In der Mitte des Tischs befanden sich zwei ineinanderverschlungene Schlangen in Form einer Acht. Die Äbtissin vermutete, daß man das Montglane-Schachspiel mit diesem Tuch verhüllt hatte, wenn es transportiert worden war.
Gegen Ende der zweiten Woche forderte die Äbtissin die Nonnen auf, sich reisefertig zu machen. Sie teilte jeder das Ziel ihrer Reise unter vier Augen mit, so daß keine Nonne wußte, wohin die anderen geschickt wurden. Das sollte die Gefahren für sie verringern. Das Schachspiel hatte weniger Figuren, als sich Nonnen im Kloster befanden, und nur die Äbtissin würde wissen, welcher Nonne ein Teil des Schachspiels anvertraut worden war und welcher nicht. Als Valentine und Mireille in
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