Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
sich und legte erschöpft eine Hand an die Stirn, aber er schwieg.
„Garin“, sagte der Herzog von Burgund vorsichtig, „ du weißt, der König lehnt Aberglauben als heidnisch und barbarisch ab. Er hat am Hof alle Magie und Wahrsagerei verboten.“
Karl der Große unterbrach ihn. Seine Stimme klang sehr müde. „Wie kann ich das Licht des Christentums nach Europa bringen, wenn meine Soldaten an Zauberei glauben?“
„Magie ist in Arabien und im ganzen Osten seit Anbeginn der Zeit ausgeübt worden“, erwiderte Garin, „ich glaube nicht daran, und ich verstehe sie nicht. Aber“ - Garin beugte sich zum König und sah ihm in die Augen - „auch Ihr habt es gespürt.“
„Mich hat das Wüten des Feuers erfaßt“, gestand Karl der Große, „ich konnte mich nicht mehr beherrschen. Es war ein Gefühl wie vor einer Schlacht, wenn die Truppen zum Angriff ausrücken. Ich habe keine Erklärung dafür.“
„Aber alle Dinge zwischen Himmel und Erde haben eine Ursache“, hörten sie plötzlich eine Stimme hinter Garin. Als Garin sich umdrehte, stand dort einer der acht schwarzen Mauren, die das Schachspiel in die Halle getragen hatten. Der König forderte den Mann mit einem Kopfnicken auf weiterzusprechen.
„Aus unserem Watar, unserer Heimat, stammt ein uraltes Volk. Man nennt es die Badawi, ‘die Wüstenbewohner’. Unter diesem Volk gilt die Wette auf Leben und Tod als etwas sehr Ehrenhaftes. Man sagt, nur diese Wette kann den Habb entfernen, den schwarzen Tropfen im Herzen eines Menschen, den der Erzengel Gabriel aus der Brust Mohammeds entfernt hat. Eure Hoheit, Ihr habt vor dem Schachspiel eine Wette auf Leben und Tod geschlossen, eine Wette um das Leben eines Mannes. Das ist die höchste Form der Gerechtigkeit. Mohammed sagt: „Ein Königreich überdauert mit Kufr, dem Unglauben an den Islam, aber ein Königreich überdauert nicht mit Zulm, der Ungerechtigkeit.“„
„Eine Wette auf Leben und Tod ist immer eine Wette des Bösen“, erwiderte Karl der Große. Garin und der Herzog von Burgund sahen den König erstaunt an. Hatte er nicht erst vor einer Stunde eine Wette auf Leben und Tod gefordert? „Nein!“ widersprach der Maure eigensinnig. „Durch eine Wette auf Leben und Tod kann man Ghutah erlangen, die Oase des Friedens auf Erden, das Paradies. Wenn man diese Wette vor dem Brett des Schatranj schließt, dann führt das Schatranj die Sar aus!“
„Die Mauren nennen das Schachspiel Schatranj, mein König“, erklärte Garin.
„Und was ist - Sar?“ fragte Karl der Große und erhob sich langsam, so daß er alle anderen überragte.
„Es ist die Rache“, erwiderte der Maure ausdruckslos. Er verneigte sich und zog sich zurück.
„Wir spielen noch einmal“, rief der König, „aber diesmal gibt es keine Wetten. Wir spielen aus Freude am Spiel. Ich halte nichts von kindischem Aberglauben. Das sind Erfindungen von Barbaren und alten Weibern.“ Die Höflinge stellten das Schachspiel wieder auf. Erleichterung verbreitete sich unter den Gästen. Karl der Große drehte sich nach dem Herzog von Burgund um und griff nach seinem Arm.
„Habe ich diese Wette wirklich vorgeschlagen?“ fragte er leise.
Der Herzog sah ihn überrascht an. „O ja, mein König“, erwiderte er, „könnt Ihr Euch nicht daran erinnern?“
„Nein“, erwiderte Karl der Große düster. Der König und Garin begannen wieder zu spielen. Nach einem spannenden Kampf gewann Garin das Spiel. Der König verlieh ihm daraufhin das Land um Montglane in den baskischen Pyrenäen und den Titel Garin von Montglane. Karl der Große bewunderte Garins meisterhaftes Schachspiel so sehr, daß er ihm anbot, eine Festung zu bauen, damit Garin das gewonnene Land auch verteidigen konnte. Und als das geschehen war, ließ er Garin das Schachbrett und die märchenhaften Figuren, mit denen sie das berühmte Spiel gespielt hatten, als Geschenk überbringen. Seit dieser Zeit nennt man es „das Montglane-Schachspiel“.
„Das ist die Geschichte des Klosters von Montglane“, sagte die Äbtissin und schwieg. Sie blickte auf die Gesichter der stummen Nonnen. „Denn viele Jahre später, als Garin krank wurde und im Sterben lag, vermachte er sein Land der Kirche, ebenso die Festung, die unser Kloster wurde, und das Montglane-Schachspiel.“
Die Äbtissin schwieg, als sei sie unsicher, ob sie weitersprechen solle. aber schließlich fuhr sie fort.
"Garin glaubte immer, mit dem Montglane-Schachspiel verbinde sich ein schrecklicher Fluch. Lange bevor Karl der Große
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