Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
Courtiade“, flüsterte Talleyrand. „Ich habe dir doch gesagt, es darf kein Licht brennen. Ich bin zu Tode erschrocken.“
„Entschuldigen Sie, Monseigneur“, sagte Courtiade, der seinen Herrn immer mit dem bischöflichen Titel ansprach, „ich hoffe, meine Befugnisse nicht überschritten zu haben, indem ich noch eine Anweisung nicht befolgt habe.“
„Was hast du getan?“ fragte Talleyrand und trat durch das Tor. Der Diener schloß hinter ihm ab.
„Sie haben einen Gast, Monseigneur. Ich habe mir erlaubt, die Person einzulassen, die auf Sie wartet.“
„Die Lage ist ernst.“ Talleyrand ergriff den Kammerdiener beim Arm. „Der Pöbel hat Madame de Staël heute morgen festgehalten und in die Kommune gebracht. Es hat sie beinahe das Leben gekostet! Niemand darf erfahren, daß ich Paris verlassen will. Wen hast du eingelassen?“
„Mademoiselle Mireille, Monseigneur“, erwiderte der Kammerdiener. „Sie ist erst vor kurzem und allein gekommen.“
„Mireille? Allein - mitten in der Nacht?“ Talleyrand eilte mit Courtiade über den Hof.
„Monseigneur, sie hatte einen Handkoffer bei sich. Das Kleid, das sie trägt, ist zerfetzt. Sie konnte kaum sprechen. Ihr Kleid ist mit - Blut befleckt. Mit sehr viel Blut.“
„Mein Gott“, murmelte Talleyrand und hinkte, so schnell er konnte, durch den Garten. Als sie die große, dunkle Halle erreichten, deutete Courtiade zum Arbeitszimmer. Talleyrand lief eilig durch den Gang und öffnete die breite Tür. Überall standen halbgepackte Kisten mit Büchern. In der Mitte des Raums lag Mireille auf dem pfirsichfarbenen Samtsofa. Das blasse Gesicht wirkte blutlos im schwachen Schein der Kerze, die Courtiade neben sie gestellt hatte.
Talleyrand ging mit einiger Mühe vor ihr auf die Knie, ergriff ihre schlaffe Hand und rieb sie heftig mit seinen beiden Händen.
„Soll ich das Riechsalz bringen, Sire?“ fragte Courtiade besorgt.
„Ja, ja“, stieß sein Herr atemlos hervor, ohne Mireille aus den Augen zu lassen. Vor Angst wurde ihm kalt ums Herz. „Danton ist nicht mit den Pässen erschienen. Und jetzt das ...“
Talleyrand blickte zu Courtiade auf, der immer noch die Kerze in der Hand hielt. „Bring das Riechsalz, Courtiade. Wenn sie wieder bei Bewußtsein ist, mußt du David benachrichtigen. Wir müssen dieser Sache schnellstens auf den Grund gehen.“
Talleyrand betrachtete Mireille, und in seinem Kopf überschlugen sich die fürchterlichsten Gedanken. Er nahm die Kerze vom Tisch und hielt sie dichter an die bewußtlose Gestalt. Im roten Haar klebte Blut. Das Gesicht war mit Schmutz und Blut verschmiert. Sanft schob er ihr die Haare aus dem Gesicht, beugte sich über sie und küßte sie auf die Stirn. Als er sie wieder ansah, regte sich etwas in ihm. Merkwürdig, dachte er, sie ist immer die Ernste und Vernünftige gewesen.
Courtiade erschien mit dem Riechsalz. Talleyrand hob behutsam Mireilles Kopf und hielt ihr die geöffnete Flasche unter die Nase, bis sie zu husten begann.
Sie schlug die Augen auf und starrte die beiden Männer entsetzt an. Plötzlich begriff sie, wo sie war, und setzte sich auf. Sie umklammerte in panischer Angst Talleyrands Arm. „Wie lange war ich bewußtlos?“ rief sie. „Ihr habt niemandem gesagt, daß ich hier bin?“ Das vor Angst verzerrte Gesicht war leichenblaß.
„Nein, nein, Kleines“, sagte Talleyrand beruhigend. „Sie sind noch nicht lange hier. Wenn es Ihnen etwas besser geht, macht Courtiade Ihnen einen heißen Cognac, um Ihre Nerven zu beruhigen, und dann benachrichtigen wir Ihren Onkel.“
„Nein!“ Mireille schrie beinahe. „Niemand darf erfahren, daß ich hier bin! Ihr dürft es keinem Menschen erzählen, am allerwenigsten meinem Onkel! Dort werden sie mich zuerst suchen. Mein Leben ist in größter Gefahr. Schwört, daß Ihr es niemandem sagt!“ Sie versuchte aufzustehen, aber Talleyrand und Courtiade hielten sie erschrocken fest.
„Wo ist mein Koffer?“ rief sie.
„Hier“, sagte Talleyrand und klopfte auf das Leder, „hier neben dem Sofa. Mireille, Sie müssen sich beruhigen. Legen Sie sich zurück und ruhen Sie sich aus, bis Sie sprechen können. Es ist Nacht. Möchten Sie nicht, daß ich wenigstens Valentine benachrichtigen lasse, um ihr zu sagen, daß Sie in Sicherheit sind?“
Bei der Erwähnung von Valentine nahm ihr Gesicht einen Ausdruck von solcher Trauer, von solchem Entsetzen an, daß es Talleyrand vor Angst die Kehle zuschnürte.
„Nein“, hauchte er, „es kann nicht sein. Nicht Valentine. Sagen
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