Katrin mit der großen Klappe
konnte.“
„Mir wäre es lieber gewesen,
ich hätte die ganze Woche allein in einem möblierten Zimmer gehaust!“ sagte
Katrin ehrlich.
Als sie das traurige Gesicht
ihrer Großmutter sah, fügte sie reuevoll hinzu: „Nicht, daß ich nicht gerne mit
dir zusammen wäre, Omi, aber das alles hier... ich mag diese Weikerts einfach
nicht.“
„Es soll ja nicht ewig so
weitergehen, Kind! Deine Mutter und ich, wir haben schon eine Menge gespart.
Paß nur auf, in absehbarer Zeit werden wir uns eine eigene Wohnung leisten
können, und dann...“
„Wirklich, Omi?“ Katrin sprang
wie elektrisiert auf. „Schwindelst du mich auch nicht an? Ist es wirklich
wahr?“
„Aber ich würde dir doch nichts
vormachen, Katrin!“
Katrin tanzte im Zimmer herum.
„Omi, ich bin ja so glücklich... aber warum hast du mir das jetzt erst gesagt?“
„Weil ich gerade heute morgen
erst den Brief von deiner Mutter bekommen habe, in dem sie schreibt, was sie
inzwischen verdient hat.“ Frau Bär zog Katrin an sich. „Aber ich möchte hier
bei Weikerts bleiben, bis es soweit ist, verstehst du? Ich möchte nicht auf
meine alten Tage noch einmal die Stellung wechseln müssen, und woanders würden
wir es bestimmt nicht besser treffen.“
„Nur keine Bange“, sagte Katrin
und lachte, „jetzt, wo ich weiß, daß es nicht für ewig ist, halte ich es ohne
weiteres noch hier aus.“
Frau Bär hielt Katrin fest. „Du
mußt deinen Freundinnen sagen, daß sie nicht hierher kommen dürfen! Ich weiß,
ich weiß, du hast sie nicht eingeladen, ich mache dir gar keinen Vorwurf. Aber
du mußt ihnen noch einmal ganz klarmachen, daß du hier nur geduldet bist und
daß du dir keinen Krach mit Weikerts erlauben kannst. Liebling, du weißt genau,
daß sie nur aus Gnade und Barmherzigkeit gestattet haben, daß du hier bei mir
wohnst.“
Katrin entwand sich dem Griff
der Großmutter. „Schon gut“, sagte sie, „ich mach das schon.“
„Kann ich mich drauf
verlassen?“
„Aber ja doch. Ich garantiere
dir, daß niemand aus meiner Klasse je wieder hier auftauchen wird!“
Katrin zwang sich, der
Großmutter offen in die Augen zu sehen, und die alte Frau nickte zufrieden —
sie ahnte nicht, daß Katrin nicht im entferntesten daran dachte, ihren
Klassenkameradinnen die Wahrheit zu sagen, sondern ganz, ganz andere Pläne
hatte.
Zwei gegen Katrin
Keines der Mädchen sprach am
nächsten Tag in der Schule über den Zwischenfall am Heckenrosenweg. Silvy,
Olga, Ruth und Leonore schwiegen, weil ihnen klar war, daß sie sich dabei nicht
gerade mit Ruhm bekleckert hatten, und Katrin hielt den Mund, weil ihr das
Thema zu heiß war.
Eine ereignislose Woche, die
mit Lernen und Spielen, harmlosen Streitereien und Versöhnungen ausgefüllt war,
ging vorüber, und dann war der große Tag gekommen, an dem Frau Mohrmann der
Klasse die Aufsatzhefte zurückgab.
Fast alle Mädchen der 6a
fühlten sich seltsam beklommen, als sie die Klassenlehrerin mit dem Stapel
Hefte unter dem Arm eintreten sahen, keine aber zitterte innerlich so sehr wie
Katrin. Sie hatte Angst, in ihrem Aufsatz über das Ziel hinausgeschossen zu
sein.
„Was ich vom Beruf meines
Vaters weiß“, hatte das Thema gelautet, und da Katrins Vater vor zwei Jahren
gestorben war und sie über seinen wirklichen Beruf — er war Ingenieur in einer
großen Fabrik gewesen — herzlich wenig wußte, hatte sie über den Phantasieberuf
eines Phantasievaters geschrieben.
Das Fabulieren war ihr flott
von der Hand gegangen, und sie war von ihrem eigenen Werk ganz begeistert
gewesen. So überzeugend hatte alles gewirkt, als sie es sich noch einmal
durchlas.
Erst als sie den Aufsatz
abgegeben hatte, waren ihr Bedenken gekommen. Frau Dr. Mohrmann mußte doch
wissen, daß ihr Vater nicht mehr lebte. Katrin wurde es geradezu übel bei der
Vorstellung, daß die Lehrerin sie vor der ganzen Klasse blamieren könnte.
Jetzt, als Frau Dr. Mohrmann
den Stapel Hefte vor sich auf den Lehrertisch legte, spürte Katrin, wie ihr
heiß und kalt wurde. Sie mußte an sich halten, um nicht aufzuspringen und aus
der Klasse zu stürmen.
„Die Aufsätze“, begann Frau Dr.
Mohrmann, ließ ihren Blick über die Klasse schweifen und begegnete
neunundzwanzig gespannten Augenpaaren, nur Katrin hielt die Lider gesenkt. „Die
Aufsätze“, wiederholte sie und fuhr nach einer abermaligen kleinen Pause fort:
„...sind im großen und ganzen gut geraten.“
Ein Aufatmen ging durch die
Klasse.
„Es hat sich zwar
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