Katrin mit der großen Klappe
wieder
vorkommen“, sagte Herr Weikert, „ich werde veranlassen, daß die Mauer mit einem
elektrisch geladenen Draht zusätzlich gesichert wird.“ Er fixierte Katrin aus
seinen hervorquellenden Augen. „Bestell das deinen Verehrern!“
„Meinen... was?“ Katrin riß in
ehrlicher Verblüffung ihren Mund sperrangelweit auf.
„Du verstehst mich sehr gut“,
behauptete Herr Weikert.
„Ich würde nie zulassen, daß
meine Enkelin sich mit Jungen herumtreibt!“ sagte Frau Bär mit ganz ungewohnter
Energie. „Für so etwas ist sie doch noch viel zu jung.“
„Ich“, sagte Herr Weikert und
musterte Katrin von oben bis unten, „traue ihr alles zu!“ Und mit diesen Worten
verließ er die Küche, Kastor folgte ihm auf dem Fuße. Anette lachte
schadenfroh. Katrin riß ihre Malutensilien an sich und stürzte aus der Küche.
Das Zimmer, in dem sie zusammen
mit ihrer Großmutter wohnte, war gemütlich eingerichtet und für eine Person
gerade groß genug — wenn allerdings zwei Menschen zu gleicher Zeit drin waren,
konnte man sich kaum umdrehen. Die Fenster lagen hoch oben an der Decke, so daß
man auf einen Stuhl klettern mußte, um hinaussehen zu können, und das
verstärkte bei Katrin den Eindruck, wie eine Gefangene gehalten zu werden. Daß
zu diesem Zimmer ein Bad gehörte, das Großmutter und sie nur mit Anette teilen
mußten, tröstete sie nicht darüber hinweg, auch nicht, daß Herr Weikert ihnen
einen Fernseher und ein Radio zur Verfügung gestellt hatte.
Sie mochte ihn nicht, sie
mochte seine Frau nicht, sie haßte das ganze luxuriöse Haus mit dem großen
Garten, in den sie nur hinein durfte, wenn Weikerts verreist waren — sie haßte
das alles, weil sie sich nur geduldet fühlte.
Anette rieb ihr immer wieder
unter die Nase, wie unerwünscht sie war, und auch die Großmutter mit ihren
ewigen Mahnungen, recht still zu sein und den Weikerts aus dem Wege zu gehen,
ließ sie das nicht vergessen.
Wie gerne hätte sie das
behagliche Zimmer mit Bad, Fernseher und Radio gegen eine kahle Kammer
eingetauscht, von der sie hätte sagen können: „Hier wohne ich, hier gehöre ich
hin, das ist mein Zuhause!“
Aber es gab keinen Platz auf
der ganzen Welt, der auf sie wartete.
Am liebsten hätte Katrin sich
quer über die schmale Couch geworfen, auf der sie zu schlafen pflegte, und ihren
Tränen freien Lauf gelassen. Aber sie biß die Zähne zusammen und ballte die
Fäuste. Sie setzte sich in den kleinen Sessel, der tagsüber ziemlich
eingeklemmt zwischen ihrer Couch und Großmutters Bett stand, zog die Beine
hoch, legte das Kinn auf die Knie und versuchte nachzudenken.
Es dauerte nicht lange, dann
wurde ihr klar, daß sie bei allem Pech noch Glück gehabt hatte: Anette hatte
ihren Freundinnen nicht verraten, daß sie in diesem Haus nur geduldet war, und
sie hatte auch Herrn Weikert nicht anvertraut, daß die Mädchen nach ihr gefragt
hatten.
Herr Weikert hatte überhaupt
nichts herausgekriegt, und er konnte auch nichts vermuten.
Katrin holte das blaugeblümte
Dreieck aus ihrer Hosentasche und drehte es sich um den Finger.
Seine Behauptung über die
Jungen, mit denen sie sich angeblich herumtrieb, war nichts als ein Schuß ins
Ungewisse gewesen. Im Grunde war es dumm von ihr, sich so darüber aufzuregen.
Katrin seufzte schwer.
Die Großmutter, die in diesem
Augenblick hereinkam, hörte gerade noch diesen Seufzer. „Sei nicht traurig,
Liebling“, sagte sie, „Herr Weikert hat es nicht so gemeint.“
„O ja, ich weiß“, sagte Katrin
bitter, „er ist die Güte in Person, und mich hat er ganz besonders ins Herz
geschlossen.“
„Vielleicht solltest du doch
versuchen, etwas höflicher und liebenswürdiger ihm gegenüber zu sein.“
„Wann denn? Bisher hieß es doch
immer, ich hätte ihm aus dem Wege zu gehen.“
Die Großmutter ließ sich auf
die Kante ihres Bettes sinken, faltete die Hände im Schoß. Sie sah auf einmal
sehr alt und sehr müde aus. „Ach, Katrin“, sagte sie, „mach mir doch nicht
alles noch schwerer.“
„Tut mir leid, Omi!“ Katrin
lief zur Großmutter hinüber, schmiegte sich in ihre Arme. „Das wollte ich
nicht, wirklich nicht.“
„Ich weiß, wie wenig schön das
alles hier für dich ist. Aber seit dein Vater gestorben ist...“
„Ich weiß doch, Omi!“
„Und als deine Mutter die
Werkswohnung aufgeben mußte, war es ein richtiger Glückstreffer, daß sie den
guten Posten als Vertreterin erhielt... auch wenn sie dich da nicht mehr bei
sich behalten
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