Katrin mit der großen Klappe
Mohrmann, „das war eine Zwei wert.“ Sie wandte sich an die Klasse.
„Sicher beneidet ihr alle jetzt Leonore ein bißchen darum, daß ihr Vater so
einen aufregenden und spannenden Beruf hat. Aber fast jeder Beruf ist so
interessant, wenn man sich nur die Mühe nimmt, sich ganz ernsthaft damit zu
befassen.“
Sie winkte Olga heran, die sich
sofort daran machte, den Stoß Hefte auszuteilen.
Katrin atmete auf. Sie war noch
einmal davongekommen. Frau Dr. Mohrmann hatte kein Wort über ihren Aufsatz
verloren. Was für eine Note sie bekommen hatte, war ihr vollkommen
gleichgültig. Hauptsache, sie war nicht aufgeflogen.
Ihre Hände, mit denen sie das
Heft hielt, zitterten ein bißchen. Rasch wollte sie es in ihre Schultasche
unter die Bank stecken.
Silvy, die schräg hinter ihr
auf der anderen Seite des Ganges saß, legte ihr die Hand auf die Schulter. „Na
so was!“ sagte sie halblaut. „Willst du denn gar nicht nachsehen, was du
bekommen hast?“ Katrin zuckte zusammen wie ein ertappter Verbrecher. Aber
blitzschnell hatte sie sich wieder gefaßt. „Wozu denn?“ sagte sie hochnäsig.
„Das ist doch unwesentlich.“
„Na erlaube mal...“, begann
Silvy, hielt dann aber ganz schnell den Mund, als sie Frau Dr. Mohrmanns Blick
auf sich gerichtet sah. Der Unterricht ging ohne Zwischenfälle weiter.
Aber als es zwanzig Minuten
später zur Pause klingelte, hatte Silvy ihre Beobachtungen noch nicht
vergessen.
„Stellt euch bloß vor!“
trompetete sie, als die Freundinnen zum Wäldchen rannten, „Katrin hat nicht mal
nachgesehen, was für eine Note sie im Aufsatz bekommen hat!“
Antwort bekam sie erst, als es
ihnen glücklich gelungen war, sich den gewohnten Lieblingsplatz in der Sonne
wieder zu erobern.
„Ich habe dir doch schon
erklärt, daß das unwesentlich für mich ist“, sagte Katrin.
„Eine Note im deutschen
Aufsatz!? Du spinnst wohl!“ rief Ruth Kleiber.
„Worüber hast du denn
geschrieben?“ fragte Olga.
„Du wirst staunen“, erklärte
Katrin, „über den Beruf meines Vaters!“ Die anderen lachten, weil Olga
hereingefallen war.
„Das weiß ich doch selber!“
erklärte Olga mit hochrotem Kopf. „Tu nicht so, als wenn ich ein Idiot wäre! So
schlau wie du bin ich schon lange!“
Katrin markierte ein kräftiges
Gähnen und hielt sich die Hand vor den Mund. „Gibt es wirklich kein
gescheiteres Thema?“
„Also, ich verstehe das nicht“,
piepste Ruth. „Deutscher Aufsatz ist doch wichtig.“
„Für mich nicht“, behauptete
Katrin.
Eigentlich hatte sie nur
versucht, die anderen abzulenken, aber sie hatte mit ihrer Großspurigkeit genau
das Gegenteil erreicht. Alle starrten sie äußerst verblüfft an.
„Wieso das?“ rief Silvy.
Selbst die zurückhaltende
Leonore sagte: „Das mußt du uns aber schon etwas genauer erklären, Katrin!“
„Höchst einfach“, sagte Katrin,
„ich finde es absolut kläglich, nur für die Noten zu lernen. Ich lerne, um zu
lernen. Deshalb interessiert es mich auch nicht, wie meine Leistungen bewertet
werden.“
Ein Sturm brach los.
„Willst du etwa behaupten, daß
wir anderen Streber sind?“ rief Silvy.
„Na, also, das ist wirklich
schon eine Unverschämtheit!“ empörte sich Olga.
Und Leonore lachte wie ein
Kobold. „Du bist wirklich eine komische Nudel, Katrin.“
„Nun, das ist eben mein
Standpunkt“, erklärte Katrin, „wenn er euch nicht paßt, kann ich euch auch
nicht helfen.“ Sie schwang sich von ihrem erhöhten Platz und stolzierte hocherhobenen
Hauptes von dannen — sie sah keine andere Möglichkeit mehr, der lästigen
Fragerei auszuweichen.
„Katrin treibt es wirklich zu
toll“, sagte Olga und warf ihren abgenagten Apfelgriebs mit kräftigem Schwung
über den Zaun in den Wald hinüber, „die scheint sich wirklich einzubilden, daß
sie was Besseres ist als wir!“
„Ach, laß doch“, meinte Leonore
friedlich. „Du weißt doch, wer angibt, hat’s meist nötig.“
„So leicht dürfen wir ihr das
nicht machen“, sagte Silvy. „Es wird höchste Zeit, daß wir ihr einen Denkzettel
erteilen.“
„Mit welchem Recht?“ fragte
Leonore. „Wir haben doch alle unsere Fehler.“
„Das schon!“ rief Olga. „Aber
keine bläst sich so auf wie Katrin! Das ist ja wahrhaftig bald nicht mehr zu
ertragen.“
„Wir könnten sie aus unserem
Kreis ausschließen“, schlug Ruth vor.
„Nein“, sagte Leonore sofort.
„Da mache ich nicht mit.“
„Das wäre auch blöd“, erklärte
Olga.
Silvy zwinkerte ihr zu.
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