Katrin mit der großen Klappe
„Ich
weiß was Besseres.“
„Was denn?“
„Komm mit!“ Sie sprang vom
Bretterstapel, zog Olga nach, schob die Hand unter ihren Arm und marschierte
mit ihr davon.
„Die beiden hecken nichts Gutes
aus“, sagte Leonore und sah ihnen sorgenvoll nach.
„Wir können ihnen ja nach“,
schlug Ruth vor.
Aber Leonore schüttelte den
Kopf. „Ach laß nur“, sagte sie. „Man soll sich niemals aufdrängen. Wir werden
ja sehen.“
Olga wollte sich gar nicht von
Silvy entführen lassen, sie versuchte stehenzubleiben. „Was soll das?“ fragte
sie unbehaglich. „Ich muß etwas mit dir besprechen, was die anderen nichts
angeht.“
„Aber warum sollen wir denn
Geheimnisse haben!?“
„Nicht so, wie du denkst“,
erklärte Silvy geduldig. „Nachher werden wir die anderen schon einweihen. Aber
nicht jetzt.“
Olga schüttelte ihre roten
Locken. „Um Himmels willen, tu nicht so geheimnisvoll!“
„Du bist doch auch der Meinung,
daß wir Katrin endlich mal eine Abreibung verpassen müssen?“
„Unbedingt.“
„Na, siehst du. Und die anderen
haben doch nicht den Mumm dazu.“
„Was hast du vor?“
„Höchst einfach. Katrin hat uns
ja selber sozusagen die Waffe gegen sich in die Hand gegeben. Durch ihre blöde
Geheimnistuerei.“
Olga riß ihre hübschen blauen
Augen auf. „Ich verstehe kein Wort.“
„Sei bloß nicht so
begriffsstutzig!“ Silvy begann die Geduld zu verlieren. „Katrins Aufsatzheft!“
„Na und?“
„Herrje, streng doch bloß mal
deine Gehirnzellen an! Warum, glaubst du, hat Katrin das Heft so schnell
verschwinden lassen? Weil sie sich für ihre Note nicht interessiert? Nein, das
glaube ich nie und nimmer. Das genaue Gegenteil wird der Fall sein. Wahrscheinlich
weiß sie, daß sie miserabel abgeschnitten hat, und sie hat das ganze Theater
nur aufgeführt, um es uns nicht merken zu lassen.“
„Möglich ist das schon“, gab
Olga nachdenklich zu. „Aber wenn du dich täuschst...“
„Na wenn schon! Dann hat es
eben nicht geklappt. Riskieren tun wir auf keinen Fall etwas, wenn wir uns das
Heft schnappen.“
„Was!? Du willst ihr das
Aufsatzheft klauen!?“ Olga blieb unvermittelt stehen.
Dadurch geriet Silvy ins
Stolpern, war aber keineswegs aus der Fassung gebracht. „Endlich!“ rief sie.
„Du hast es kapiert! Langsam war ich schon der Verzweiflung nahe. Also komm
schon!“ Sie packte Olgas Hand und wollte sie mit sich zum Schulgebäude ziehen.
Aber Olga wehrte sich. „Ich
weiß nicht“, sagte sie. „Ich habe das Gefühl, so was gehört sich nicht!“
„Und Katrins Angabe, die gehört
sich, wie? Wie sie uns immer von oben herunter behandelt und sich als was
Besseres hinstellt!“ Plötzlich ließ sie Olga los. „Na schön, wenn du dir das
weiter gefallen lassen willst.“
„Nein“, sagte Olga.
„Du machst also mit?“
„Was müßte ich denn tun?“
„Bloß Schmiere stehen, weiter
nichts. Das andere mach ich schon, ich bin nicht so heikel. Aber beeilen müssen
wir uns, die Pause ist bald um.“
Immer noch nicht ganz
überzeugt, aber doch nicht abgeneigt, folgte Olga der energischen Silvy.
Sie lümmelten sich eine Weile
in der Nähe der Eingangshalle mit dem plätschernden Springbrunnen herum, bis
die Aufmerksamkeit der aufsichtführenden Lehrerin durch eine kleine Rempelei
abgelenkt wurde. Zufällig war es ausgerechnet Katrin, die von einer
daherrasenden Schülerin der Achten über den Haufen geworfen wurde und so für
Silvy und Olga den Anlaß bot, still und leise in die Schule hinein zu
verschwinden.
Nebeneinander jagten die beiden
die breite Treppe hinauf und den langen, leeren Gang entlang. Sie erschraken,
als sich die Türe des Kartenzimmers öffnete, wußten nicht, ob sie vor oder
zurück sollten — doch glücklicherweise war es nur eine Schülerin, die
herauskam.
Aber jetzt liefen sie nicht
mehr, sondern gingen weiter, zwar schnell, aber gesittet.
„Was sollen wir sagen, wenn wir
erwischt werden?“ tuschelte Olga.
„Laß das nur meine Sorge sein“,
flüsterte Silvy zurück.
Sie hatten das Klassenzimmer
erreicht, und Silvy gab Olga ein Zeichen, draußen vor der Türe zu warten. „Wenn
jemand kommt“, befahl sie, „so klopfst du dreimal kurz mit dem Knöchel gegen
das Holz!“ Sie verschwand im Zimmer, ehe Olga noch etwas sagen konnte.
Es blieb ihr nichts anderes
übrig, als draußen stehenzubleiben, starr und gespannt, und das Abenteuer zu
verwünschen, in das sie sich eingelassen hatte. Wie hatte sie sich nur einreden
lassen
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