Katrin Sandmann 01 - Schattenriss
gekannt, aber ich hatte das Gefühl, dass Tamara so einen eigenartigen Hang zur Selbstzerstörung hatte.“
Bevor Katrin nachhaken konnte, hatte er sich umgedreht. Sie sah ihm nach, wie er den Gang entlang hastete und zwischen dem Gedrängel aus Schülern und Lehrern langsam ihrem Blick entglitt.
3
Katrin hörte das Kindergeschrei bereits unten im Treppenhaus. Roberta erwartete sie im Türrahmen. Tommy stand neben ihr und zog ungeduldig an ihrem Pullover. Katrin breitete die Arme aus, rannte mit einem unheimlichen Schrei auf ihn zu und Tommy flüchtete laut kreischend in die Wohnung. Roberta lächelte. „Genau das habe ich gebraucht. Jemanden mit guter Laune und frischer Energie, der mich ein wenig entlastet und aufmuntert. Ich habe das Gefühl, mir fällt die Decke auf den Kopf.“
Katrin folgte ihrer Freundin in die Wohnung. „Mir geht es heute selbst nicht so gut, aber wenn wir unsere Kräfte zusammenschmeißen, wird’s schon irgendwie laufen.“
„Ist was passiert?“ Roberta goss Kaffee ein. Katrin setzte sich. Sie legte ihre Hände um die heiße Tasse und beobachtete, wie die winzigen, cremefarbenen Bläschen auf der dunklen Flüssigkeit kreisten. Johanna kam in die Küche. „ Willste mal meine neue Barbie sehen?“
„Klar doch. Zeig her.“
„Du musst mit ins Kinderzimmer kommen. Ich kann sie nicht herbringen. Sie schläft gerade.“
„Ich verstehe.“
„Hanna, lass Katrin doch erst mal in Ruhe Kaffee trinken.“ Roberta blickte ihre Freundin an und verdrehte die Augen. Katrin ließ die Tasse los und erhob sich aus ihrem Stuhl.
„Ist schon okay. Ich bin gleich wieder da.“ Es dauerte ein paar Minuten, bis Katrin die Puppe und all ihre schönen Kleider gebührend bewundert hatte. Dann musste sie noch unbedingt Davids Legoeisenbahn ausprobieren. Aber schließlich durfte sie zurück in die Küche. Roberta saß am Tisch und starrte aus dem Fenster.
„Diese Baustelle macht mich verrückt. Hässlich, laut und dreckig.“ Sie seufzte.
„Rate mal, wen ich heute getroffen habe.“ Katrin sah Roberta triumphierend an. „Du wirst es nicht glauben.“
„Michael Breitner.“
Katrin kreischte auf. Dann lachte sie. „Wie kommst du denn darauf?! Du bist ja völlig verrückt!“ Michael war der Schwarm aller Mädchen am Schiller-Gymnasium gewesen. Er hatte so manches Herz gebrochen, und auch Katrin war eine zeitlang unsterblich in ihn verliebt gewesen. Roberta grinste. „Ich weiß auch nicht, aber ich hatte irgendwie das Gefühl, dass du von einer Reise in die Vergangenheit zurückkommst.“
„Gar nicht so falsch. Ich war tatsächlich in der Schule. Und ich habe mich längere Zeit mit Herrn Breuer unterhalten.“
„Breuer? Der Mathe-Breuer ?“
„Genau der.“
„Und?“
„Hat sich irgendwie gar nicht verändert. Er hat mich sofort erkannt. War offensichtlich ganz begeistert, mich zu sehen. Seine jetzigen Schüler sind wohl nicht so sein Ding.“
„Der Breuer war klasse. Ohne den hätte ich vermutlich nie mein Abi geschafft.“ Roberta blickte gedankenverloren in ihre Tasse. Dann sah sie plötzlich auf. „Wieso warst du denn in der Schule?“
Katrin erzählte ihr von dem Foto, dem mutmaßlichen Mord, ihrem Besuch bei der Polizei und von Tamaras Eltern.
„Du lieber Himmel, Katrin, das ist ja wie im Film. Komm bloß nicht auf die Idee, den Mörder auf eigene Faust zu jagen.“ Roberta sah ihre Freundin scharf an. In ihrem Blick lagen Bewunderung und Sorge. „Und nimm dir die Sache nicht so zu Herzen. Ich kenne dich. Du meinst immer, du müsstest allen und jedem helfen. Aber das ist wirklich ne Nummer zu groß für dich.“
Katrin nickte. „Ja, ich weiß. Ich habe auch nicht vor, den Mörder eigenhändig zur Strecke zu bringen, obwohl ich das ungeheuer spannend fände. Ich möchte nur den Eltern ein wenig zur Seite stehen. Es muss furchtbar für sie sein. Du müsstest das doch noch besser als andere verstehen.“
Ihre Finger fuhren über den Rand der Kaffeetasse. „Ich meine, du hast doch selbst Kinder.“
„Aber du kennst diese Familie doch gar nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine fremde Person ihnen helfen kann.“
„Vielleicht ist es aber auch von Vorteil, dass ich eine Fremde bin. Außerdem scheinen die Arnolds nicht so viele Freunde zu haben. Sie wirken ziemlich isoliert.“
„Tu was du für richtig hältst, aber nimm die Sache nicht so persönlich.“
Sie sprachen nicht über Melanie, aber beide dachten an ihre Klassenkameradin, die sich vor fast zwölf
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