Katrin Sandmann 01 - Schattenriss
schüttelte den Kopf. „Der Kommissar war nicht besonders gesprächig.“
„Sie hatte Schnittverletzungen und Striemen am ganzen Körper. Sieht ziemlich heftig aus.“ Er zog einen Stapel Fotos aus der Jackentasche und hielt sie ihr hin. Katrin betrachtete die Aufnahmen schweigend. Ein schlanker, nackter Frauenkörper übersät mit kleinen länglichen Markierungen, manche tiefrot, andere fast weiß, vernarbt. Quer über den Rücken und über die Beine verliefen dunkle, fast braun wirkende Streifen. Sie musste plötzlich an den Gürtel denken, der in dem kleinen Kinderzimmer in Eller an der Wand hing.
„Wo haben Sie die Fotos her? Die hat Ihnen der Kommissar doch wohl nicht einfach so gegeben?“
„Nicht direkt. Ich habe Abzüge gemacht.“
„Wie bitte?“
„Sie sind doch vom Fach. Das sind Abzüge vom Bild.“
„Und die Polizei hat Ihnen die Bilder für die Abzüge zur Verfügung gestellt?“ Katrin starrte ihn ungläubig an.
„Nun ja, sagen wir, ich habe sie mir geborgt, für zwei Stunden.“ Er bemerkte den angewiderten Ausdruck in Katrins Gesicht. „Keine Sorge. Die werden nicht in der Zeitung veröffentlicht. Für wen halten Sie mich denn? Aber sie helfen mir bei meinen Recherchen.“
Einen Augenblick lang sprach keiner von beiden. Katrin warf einen letzten Blick auf die Aufnahmen, die sie in der Hand hielt. Sie spürte eine leichte Übelkeit in sich aufsteigen.
„Das könnte einen Selbstmord erklären“, sagte sie leise, während sie Kabritzky die Bilder zurückgab.
„Aber auch einen Mord“, antwortete er.
Am Donnerstagmorgen regnete es wieder. Katrin dachte an ihr Auto. Fest entschlossen, diesmal endlich zu handeln, rief sie bereits vor dem Frühstück die Werkstatt an.
„ Golf-Cabrio-Verdeck ? Welches Baujahr?”
„Ich weiß nicht genau. Vielleicht so zehn Jahre alt.“
„Da machen wir am besten mal einen Termin und sehen uns den Schaden in Ruhe an. Nächste Woche? Wie wär’s mit Donnerstag, zweiundzwanzigster Mai?“
„Ist mir recht. Um wie viel Uhr?“
„Bringen Sie den Wagen einfach morgens früh vorbei und dann schau’n wir mal.“
Das klang nicht besonders vertrauenserweckend , aber Katrin hatte keine andere Wahl. „Ist in Ordnung. Bis nächste Woche dann.“
Nachdem sie etwas gegessen hatte, warf Katrin einen Blick in die Dunkelkammer. Sie hatte am Abend zuvor nach Manfred Kabritzkys Besuch keine Lust mehr gehabt, weiter zu arbeiten. Nicht, nachdem sie diese Fotos gesehen hatte. Außerdem hatte sie die arrogante Selbstgefälligkeit dieses Zeitungstypen zu sehr aufgeregt. Sie hatte einfach alles stehen und liegen gelassen und war ins Bett gegangen. Entsprechend chaotisch sah es jetzt aus. Ein halb aufgeräumter Raum wirkt noch unordentlicher als ein gar nicht aufgeräumter.
Und dann hatte sie doch die halbe Nacht kein Auge zugetan, hatte sich unruhig im Bett herumgewälzt und war erst in den Morgenstunden in einen unruhigen Schlaf gefallen. Sie hatte geträumt, dass Manfred Kabritzky wild hin und her schwingend auf ihrem Schaukelstuhl hockte und sie mit Fotos bewarf. Das unverschämte Grinsen verzerrte sein Gesicht zu einer hässlichen Fratze. Die Bilder verwandelten sich im Flug in kleine steinerne Engel und prallten hart auf ihrer Stirn ab. Sie hatte vor Schmerz laut aufgeschrieen und davon war sie schließlich aufgewacht.
Rupert schlüpfte zwischen ihren Beinen durch und sprang behände auf die Arbeitsplatte.
„Oh, nein.“ Katrin schnappte sich das Tier und setzte es auf dem Fußboden in der Diele ab. „Dieses Zimmer ist für dich tabu.“ Dann schloss sie die Tür. Auf dem Schuhschrank lag die Tüte mit Tamaras Sachen. Sie hatte bisher nicht einmal einen Blick hineingeworfen. Jetzt griff sie danach und nahm sie mit ins Wohnzimmer. Sie schüttete den Inhalt auf die Couch und studierte ihn neugierig. An dem Sportzeug konnte sie nichts Ungewöhnliches entdecken. Schwarze Gymnastikhose, weißes T-Shirt und Turnschuhe. Sie öffnete die Kunstmappe. Eine Farbstudie, sehr akkurat ausgeführt, die Kopie eines Gemäldes von Dalí, nicht ganz fertiggestellt , ein paar Skizzen und Entwürfe. Enttäuscht packte sie alles zurück in die Plastiktüte. Irgendwie hatte sie gehofft, auf einen Hinweis zu stoßen, auf eine Spur, die zu Tamaras Mörder führte. Aber dies waren die Sachen eines ganz gewöhnlichen Schulmädchens.
Sie machte sich auf den Weg zu den Arnolds. Diesmal dachte sie daran, ein Handtuch für den Fahrersitz mitzunehmen. Es war viertel nach zehn, als sie
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