Katrin Sandmann 02 - Kinderspiel
Leben kann sehr ungerecht sein .«
Eva Sandmann verstummte und starrte gedankenverloren auf die vertrocknete Rasenfläche. Katrin schwieg ebenfalls. Sie dachte voller Scham daran, wie oft sie Claudia Heinrich in Gedanken Hexe genannt hatte. Sie hatte sie nie besonders gemocht, fand sie unnahbar, beinahe abstoßend, und hatte ihr ihre Verschlossenheit in ihrer kindlichen Unwissenheit als Gefühlskälte ausgelegt. Dabei war sie all die Jahre vermutlich nur einsam und unendlich traurig gewesen.
»Hat es was mit mir zu tun, dass der Kontakt abgebrochen ist, nachdem Thomas und Claudia geheiratet haben? Ich meine, war es vielleicht, weil ihr ein Kind hattet und sie nicht ?«
Eva Sandmann schüttelte den Kopf.
»Das glaube ich nicht. Du warst ja damals schon zehn. Nein, ich denke, sie war einfach ein verschlossener Mensch. Aber ich weiß es natürlich nicht genau .«
Dann fiel Katrin etwas anderes ein. »Ich finde es seltsam, dass sie sich mit einer Plastiktüte umgebracht hat. Ist das nicht ein etwas merkwürdiger Weg sich das Leben zu nehmen? Ich meine, für eine Frau wie Claudia? Ich stelle mir vor, wenn ich in ihrer Situation gewesen wäre, dann hätte ich vermutlich Tabletten geschluckt oder mich in die Badewanne gelegt, tausend Kerzen um mich herum drapiert und mir die Pulsadern aufgeschnitten. Aber ich hätte vermutlich nicht so banal meinen Kopf in eine billige Plastiktüte gesteckt .«
Eva blickte ihre Tochter einen Augenblick lang irritiert an. Sie dachte nach.
»Vielleicht wollte sie einfach nichts mehr sehen, ich meine, vielleicht konnte sie den Anblick glücklicher Menschen nicht mehr ertragen. Wenn man eine Tüte über dem Kopf hat, dann sieht man nichts mehr. Womöglich ist die Art, wie sie sich umgebracht hat, ein letzter Hinweis auf ihr Motiv, möglicherweise wollte sie im wahrsten Sinne des Wortes ihre Augen für immer schließen .«
5
Es war Viertel vor fünf, als Katrin aus der Einfahrt ihres Elternhauses bog und auf die Oberkasseler Brücke zusteuerte. Das Verdeck ihres roten Golf Cabrio war heruntergelassen und der Fahrtwind spielte mit ihrem kastanienbraunen Haar. Das Gespräch mit ihrer Mutter hatte sie sehr nachdenklich gestimmt. Was für eine Last das Leben sein musste, wenn ein Mensch seine gesamte Existenz auf ein einziges Ziel, auf einen einzigen Wunsch reduzierte, der unerfüllt blieb.
Rupert sprang ihr entgegen, als sie die Wohnungstür öffnete. Die kleine Altbauwohnung auf der Karolingerstraße war angenehm kühl. Sie ging in die Küche und kramte eine Futterdose aus dem Schrank. Der Kater strich unruhig um ihre Beine. Sie wusste, dass er nicht nur auf sein Essen wartete. Er vermisste ihre Gesellschaft. Sie hatte die letzten zwei Wochen fast ausschließlich in Manfreds Wohnung verbracht und war nur gelegentlich zum Arbeiten nach Hause gefahren, wo sie sich dann stundenlang in ihrer Dunkelkammer verkroch.
Rupert war zwar wie alle Katzen ein selbstzufriedener Einzelgänger, der seine Tage am liebsten auf der Wohnzimmerfensterbank oder im Balkonblumenkasten verbrachte, von wo aus er stundenlang das Geschehen auf der Straße beobachtete, aber er war dennoch gewohnt, dass Katrin sich meistens in der Wohnung aufhielt. Sie durfte ihn nicht so oft allein lassen.
Katrin setzte sich auf den Küchenboden und beobachtete, wie Rupert sein Schälchen leerte. Sie wusste, dass Manfred sofort mit ihr zusammen ziehen würde, aber dazu war sie noch nicht bereit. Sie liebte ihre Unabhängigkeit und die Ruhe ihrer eigenen vier Wände. In Manfreds Wohnung herrschte Chaos. Er gab nicht viel um äußere Ordnung. Wer zuviel aufräumt, hat nicht genug Zeit zum Leben, sagte er immer. Katrin akzeptierte diese Haltung, und das Durcheinander störte sie nicht, solange es in seiner Wohnung herrschte und nicht in ihrer. Sie selbst hatte es gern, wenn sich alles an seinem Platz befand, und sie fühlte sich nicht wohl, wenn das Bett, in das sie abends stieg, noch von der vergangenen Nacht zerwühlt war.
Wenn Manfred zu ihr zog, war seine Unordnung auch die ihre. Und dazu war sie nicht bereit. Zumindest noch nicht.
Katrin verbrachte den Rest des Nachmittags damit, Fotos am Computer zu bearbeiten. Peter, der Mann ihrer Freundin, hatte ihr diesen Auftrag vermittelt. Es ging um die Internetseite eines ideenreichen Hobbykochs, der exklusive Abendessen für Singles anbot, und an der Einsamkeit fremder Menschen sehr gut verdiente. Seine so genannten ›Romantischen Überraschungsdinner‹, die er in seinem eigenen
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