Katrin Sandmann 02 - Kinderspiel
eigenen Leben bezahlen.
»Da ist noch etwas .«
Halverstetts Stimme klang plötzlich anders, mitfühlend, fast väterlich. So redet er bestimmt mit Angehörigen, denen er eine tragische Nachricht überbringen muss, dachte Katrin, und der Gedanke erschreckte sie.
»Ja?«
»Wir haben hier in Rutkowskis Haus eine ziemlich abgewetzte alte Ledertasche gefunden .«
Katrins Herzschlag setzte aus.
»Ich bin mir natürlich nicht ganz sicher, Frau Sandmann, aber ich glaube, sie gehört Kabritzky .«
Kai wusste nicht, was mehr schmerzte, seine brennende Wange, wo die Ohrfeige seines Vaters ihn getroffen hatte, oder die Empörung, die in seiner Brust stach. Was hatte er denn so Schlimmes getan? Wenn er sonst eine gewischt bekam, dann wusste er genau warum, aber diesmal fühlte er sich ungerecht behandelt, und die Tränen in seinen Augen waren Tränen der Wut und der Enttäuschung. Jetzt griff seine Mutter nach Vaters Arm, um ihn davon abzuhalten, ein zweites Mal zu schlagen.
»Bitte, Volker, der Junge weiß doch nicht, was er da tut.« Ihre Stimme klang flehend, beschwörend. Kai sah im Augenwinkel, wie Martin neugierig um die Ecke lugte, dann aber schnell wieder in der Küche verschwand. Volker Rutkowski hielt Kai das Plakat, den Stein des Anstoßes, unter die Nase und schüttelte es wild.
»Was soll das hier, was macht dieses – dieses Ding im Kinderzimmer? Weißt du überhaupt, was das ist? Was bildest du dir eigentlich ein, was du da tust? !«
Er hielt einen Augenblick inne, und der rechte Arm, den seine Frau immer noch umklammerte zuckte gefährlich. »Ich will so was nie, nie wieder in diesem Haus sehen. Haben wir uns da verstanden ?«
Er sprach jetzt ruhiger, aber auch mit einer Kälte in der Stimme, die Kai noch mehr fürchtete als seine überschäumende Wut. »Du bleibst für den Rest des Nachmittags im Kinderzimmer, um darüber nachzudenken, was du getan hast .«
Kai wollte den Mund aufmachen, um zu protestieren. Die anderen Mitglieder der Bande warteten im Keller auf ihn, und nun war er mit dem Terroristenplakat erwischt worden. Aber der warnende Blick seiner Mutter hielt ihn davon ab, etwas zu sagen. Vater stieß ihn ins Kinderzimmer und Sekunden später ertönte das Geräusch des Schlüssels im Schloss.
Kai hockte sich enttäuscht und verbittert auf sein Bett. Er begriff immer noch nicht. Was hatte er denn so Schlimmes getan? Ein Fahndungsplakat von der Hauswand gelöst und mitgenommen, ein paar Treffen im Keller. Klar träumten sie davon, Terroristen zu fangen, die Belohnung zu kassieren und reich zu werden. Aber er war doch nicht dumm, kein kleines Kind mehr. Er wusste genau, dass es im Grunde nur ein Spiel war, dass keiner dieser Typen auf diesem Plakat auch nur in der Nähe der Antoniusstraße in Düsseldorf auftauchen würde. Warum also war sein Vater so außer sich geraten ?«
Die Stimme seiner Mutter riss ihn aus seinen Grübeleien. »Der Junge weiß doch von nichts. Woher sollte er wissen, dass er etwas Falsches tut .«
Kai hechtete zur Tür und presste sein linkes Ohr an das Holz, um besser zu verstehen.
»Weiß von nichts, weiß von nichts. So wie du, was?! Ihr seid eine Familie von ahnungslosen Unschuldsengeln, hab ich Recht? Du hast dann wohl auch nichts gewusst, was ?«
Kai glaubte, seine Mutter schluchzen zu hören und er presste sein Ohr so fest an die Tür, dass sein Kopf schmerzte.
»Aber ich konnte doch nicht ahnen...«, begann Angelika Rutkowski leise.
»So, du konntest also nichts ahnen .« Volker Rutkowski machte eine Pause. Kai hielt den Atem an. Dann hörte er ihn weiter sprechen. »Es ist deine Schuld, Angelika. Er ist dein kleiner Bruder. Du hättest besser auf ihn aufpassen müssen .«
Kai hörte nicht weiter zu. Er warf sich auf sein Bett und zog die Decke über den Kopf. Die Worte hämmerten in seinem Schädel. »Er ist dein kleiner Bruder. Du hättest besser auf ihn aufpassen sollen .« Was war passiert?
Drei Jahre später stand Kai im Postamt Schlange, um Briefmarken zu kaufen. Er hatte seit jenem Nachmittag einen Bogen um jedes Fahndungsplakat gemacht. Aber hier hing eines direkt an der Wand neben ihm und er konnte nicht anders und warf einen flüchtigen Blick darauf. Seine Augen ruhten länger auf den unscharfen Gesichtern in Schwarz-Weiß, als er beabsichtigt hatte, und dann blieben sie plötzlich an einem haften, das ihm vage bekannt vorkam. Er hatte seinen Onkel seit Jahren nicht gesehen und dieses Foto war ein wenig verwackelt. Doch er erkannte ihn
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