Katrin Sandmann 02 - Kinderspiel
Buch auf und blätterte. Ihm stockte der Atem. Er wusste, dass er gefunden hatte, was er suchte. Einige Stellen waren mit Textmarker angestrichen. Er fing an zu lesen.
»Unter Ersticken versteht man eine Mangelversorgung innerer Organe und des Gehirns mit Sauerstoff .«
Manfred schluckte entgeistert . Dieser Typ war ja vollkommen krank.
Er las die nächsten Sätze. Aber er kam nicht weit. Plötzlich ließ ein Geräusch ihn erstarren. Eine Stimme fragte mit gestellter Liebenswürdigkeit:
»Was gefunden?«
Manfred fuhr herum. Im Türrahmen stand ein Mann. Er war schlank, hatte mittelblonde, kurz geschorene Haare und fixierte ihn durch die Gläser seiner Brille. Heute trug er keinen Arbeitsoverall, sondern Jeans und dunkelroten Pulli. Er lächelte kalt, und in der rechten Hand hielt er eine Pistole. Sie war genau auf Manfreds Kopf gerichtet.
22
»Ich komme mir so lächerlich vor .«
Roberta Wickert kroch unter Katrins Bett hervor, einen Teddy in der Hand. Sie steckte ihn zu den anderen Spielsachen in eine große Plastiktüte. Sie und Katrin waren damit beschäftigt, zu packen.
»Das brauchst du nicht«, erwiderte Katrin bestimmt. »Er hätte dich einweihen sollen. Von Anfang an. So wie er sich verhalten hat, hätte man wirklich auch etwas anderes vermuten können .«
»Peter hat erwartet, dass ich ihm vertraue. Und ich habe versagt .«
Katrin stopfte schmutzige Kinderwäsche, ein paar einzelne Socken und eine Schlafanzughose, in eine Reisetasche.
»Nein«, konterte sie mit ernster Stimme. »Er hätte dir vertrauen sollen. Er hat versagt .« Als Roberta nicht sofort antwortete, sondern nachdenklich auf der Bettkante verharrte, fuhr sie fort. »Warum hat er denn dir gegenüber so ein großes Geheimnis daraus gemacht ?«
»Ich glaube, er war mit der ganzen Geschichte überfordert. Peter ist sehr gutmütig. Er will es immer allen recht machen. Leider neigt er dabei dazu, wichtige Entscheidungen aufzuschieben. Manchmal muss man einfach einen Entschluss fassen, selbst auf die Gefahr hin, dass er sich später als falsch erweist .«
Katrin spielte nachdenklich mit dem Reißverschluss der Reisetasche. »Ich weiß auch nicht, was ich getan hätte. Aber ich denke, manchmal muss man vielleicht sein Wort brechen, um Schlimmeres zu verhindern. Die Situation ist ganz schön verfahren. Ein alter Schulfreund ruft dich an, weil er verzweifelt ist. Er hat als elfjähriger Junge gemeinsam mit drei Freunden eine schreckliche Schuld auf sich geladen, die ihn nie richtig losgelassen hat. Jetzt werden diese Freunde nacheinander ermordet. Er ahnt, wer dahinter steckt, aber er geht nicht zur Polizei, weil er sich schuldig fühlt. Irgendwo in seinem Inneren denkt er, dass das jetzt vielleicht die gerechte Strafe ist, dass er jetzt endlich für seine Schuld sühnen muss. Aber er kann diese Last nicht allein tragen, er braucht jemanden, dem er sich anvertrauen kann; keinen von seinen Kumpels aus der Kneipe, keinen Kollegen, sondern jemanden, den er als echten Freund empfindet, den Freund aus alten Schultagen, mit dem er zusammen Fußballbilder getauscht hat, auf dem Platz gestanden und um das Schicksal von Fortuna gebangt hat.«
»Das ist ein weißer Schimmel«, kommentierte Roberta trocken. »Schicksal von Fortuna. Fortuna heißt Schicksal .«
»Lenk nicht vom Thema ab«, mahnte Katrin, aber sie musste trotzdem erleichtert grinsen. Seit sie ins Auto gestiegen waren, um die Sachen zu holen, war dies der erste Satz, in dem Roberta sich keine Selbstvorwürfe machte.
»Also kurz gesagt, ich hätte auch keine Patentlösung parat, was man in so einer Situation macht. Aber gerade deshalb hätte ich mit jemandem geredet. Peter hätte es dir erzählen sollen, finde ich. Was hat er denn geglaubt, was du tust? Direkt zur Polizei rennen? Das wäre vermutlich sogar besser gewesen. Der dritte Mord hätte vielleicht verhindert werden können, wenn die Polizei rechtzeitig eingeschritten wäre .«
»Da wusste Peter doch noch nicht die volle Wahrheit«, stieß Roberta empört hervor. »Glaubst du, er hätte sonst nicht gehandelt? Hansi hat ihm alles nur so nach und nach erzählt, den Zusammenhang mit den aktuellen Morden hat Peter erst heute Morgen begriffen .«
»Und da hätte er direkt zur Polizei gehen sollen, statt stundenlang zu überlegen, was zu tun ist .«
»Du hast doch gehört, was Hansi gesagt hat. Er will gar nicht, dass Kai Rutkowski geschnappt wird. Er glaubt, dass Kai seinen kleinen Bruder rächen muss. Seiner Meinung nach
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