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KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)

KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)

Titel: KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Zipfel
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die Hand, als wären wir schon seit Jahrzehnten Kollegen.
    »Setz dich zu uns ... komm!«
    Alle rückten ein wenig zusammen und ich quetschte mich neben meinen Riesen, den die anderen Artur nannten. Er roch nach einer Mischung aus Knoblauch, billigem Rasierwasser, Seife und viel Zimt. Seitdem muss ich bei Zimtgeruch an Artur denken, viel mehr als an süße Plätzchen oder an Weihnachten.
    Mein Magen knurrte so laut, dass man es nicht überhören konnte. Artur stutzte einen Moment, ließ dann einen leeren Teller herumgehen und jeder seiner Kollegen zweigte von seiner Portion etwas für mich ab. Am Ende landete der Teller, gefüllt mit allem, was die Speisekarte zu bieten hatte, wieder bei mir und ich verschlang die Köstlichkeiten, bis ich das Gefühl hatte, zu platzen.
    Artur beobachtete mich aus dem Augenwinkel. Mein Appetit schien ihn zu amüsieren.
    »Wie alt bist du ... Junge ... und ... wie heißt?«
    »Arno. Ich bin schon fünf. Und nächstes Jahr komme ich zur Schule.«
    »Ist schöner Name ... Arno ... Ich habe auch Jungen ... heißt ... Peter.«
    Er nestelte eine Brieftasche hervor und aus der Brieftasche ein verknittertes Schwarz-Weiß-Foto, auf dem er neben einer Frau mit dunklen Haaren stand, die freundlich lächelte. Sie war auf eine ziemlich herbe Art ziemlich hübsch, und die Zahnlücke in ihrem Oberkiefer entstellte sie komischerweise kein bisschen. An der Hand hielt sie einen Jungen, etwa in meinem Alter. Sein Gesicht war so spitz wie das von einem Rattenbaby. Und er hatte viel zu großen Segelohren. Im Hintergrund stand eine dürre Kuh, die vorne fraß und hinten schiss. Gleichzeitig.
    Ich betrachtete das Foto aufmerksam, nickte ernst, und gab es Artur feierlich zurück, als wäre es ein Heiligtum.
    Er strich mir über den Kopf. In diesem Augenblick, ausgerechnet, merkte ich, wie einer meiner Hustenanfälle in mir hochstieg, mich erst nach Luft schnappen ließ und mich dann kräftig schüttelte. Artur kniff für einen kurzen Moment die Augen zusammen, legte mir seine große Hand auf den Rücken und begann, ganz sachte, rhythmisch zu klopfen. Es kann die lebendige Wärme seiner Hand gewesen sein oder dieses sanfte Klopfen, mit dem sonst Mütter ihren Babys Bäuerchen entlocken – von einer Sekunde auf die nächste war der Hustenanfall weg.
    Ohne besondere Notiz von mir zu nehmen, ganz so, als säße ich schon immer zwischen ihnen, fuhren die Männer mit ihrer Unterhaltung fort. Ich verstand kein Wort, immer nur so etwas wie »gusch», »rusch«, »musch« oder »tete«, »tite«, »tate«. Es klang gleichzeitig weich und hart, bestimmt und verträumt, ein bisschen wie italienisch, dann wieder französisch, aber doch ganz anders – rumänisch eben.
    Das Gemurmel im Ohr und mein voller Bauch schläferten mich ein. Ich wachte erst auf, als Artur mir »Uschwuschwusch« ins Ohr flüsterte, und mich sachte auf dem Boden absetzte. Er hatte mich über den gesamten Parkplatz getragen und jeden, den er traf, nach den Eltern dieses todmüden Jungen gefragt.
    Mein Vater war sehr ungehalten, was ich nicht verstand. Vielleicht hatte sein Ärger aber auch viel weniger mit diesem Fremden und mir zu tun, sondern vielmehr mit der monströsen Ankündigung am Heck seines Lkws und der zwangsläufigen Ernüchterung in der unteren Koje des Fahrerhauses. Menschenkenner, der er war, hatte er sich mit Artur, dem Rumänen, der so ganz schlecht bremsen konnte, genau den Richtigen für seine Pöbeleien ausgesucht.
    »Was machen Sie mit meinem Jungen? Geben Sie sofort das Kind her!« schrie er fast.
    »Warum aufregen ... Kind hat gehabt Hunger ... hat gegessen mit uns ... ist müde .... habe deshalb her gebracht .... wo ist Problem?«
    Mein Vater konnte sich nicht beruhigen oder wollte es nicht. Er hörte nicht auf, Artur zu beschimpfen.
    »Warum du mich beleidigen ... sofort aufhören damit, sonst ...«
    Mein Vater war wie immer der Einzige, der nichts begriff, nicht spürte, wie Artur seine innere Stoppuhr drückte, eine drei viertel Minute geduldig abwartete, in der er immer weiter beschimpft wurde, bis er schließlich entschied, dass er genug beleidigt worden war. Dann schlug er meinem Vater kurz und trocken mit der Rechten auf die Nase. Es war eigentlich gar kein Schlag, eher ein Schubser, ein Stüber. Aber es reichte, um das Blut aus der Nase schießen zu lassen.
    Artur sah zu mir herunter und zuckte bedauernd die Schultern. Dann stapfte er davon, mehr traurig und verletzt als wütend.
    »Hab ich doch immer gesagt. Die

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