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KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)

KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)

Titel: KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Zipfel
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aufgeladen, schaffte er es in der späten Dämmerung, ohne dass ihn irgendjemand aufgehalten hätte, bis auf die Standspur der A8 nach Salzburg, fädelte sich, als aus der Dämmerung endgültig Dunkelheit geworden war, in eine große Lücke auf der rechten Fahrspur ein und genoss die allerletzte Fahrt als Kapitän der Autobahn. Tauchte kaum eine Minute später unvermittelt im Scheinwerferlicht eines Tanklastzuges auf, dessen entsetzter Fahrer die vierzig Tonnen Stahl und Fracht nicht rechtzeitig zum Stehen bringen konnte, dann, beim verzweifelten Versuch noch auszuweichen, mit seinem Sattelzug zur Seite kippte und unaufhaltsam, kreischend, Funken sprühend diesen lächerlichen Floh zermalmte. In einem weißen See aus Büffelmilch, der sich zur Mitte hin erst rosa und dann kräftig rot verfärbte, schwammen ein Klumpen Gitterrohr mit Akku, Sitz und Ralleystreifen, ein Kopf, ein Rumpf sowie ein rechter Arm samt Hand, an der der kleine Finger fehlte.
    Die Ironie des Schicksals hatte es gewollt, dass es ein Milchtransporter aus Italien war, der meinen Vater ausradierte. Ausgerechnet.
    »Sei’s drum, alter Trucker!«, hörte ich mich plötzlich leise sagen, immer noch im Büro, die Stirn noch immer an der Scheibe. »Zumindest war es kein Rumäne!«
    Meine Stirn war kalt, die Scheibe warm geworden. Es regnete in Strömen. Ich fühlte, wie die Tropfen mit Nachdruck auf die Scheibe schlugen.
    Vor dem Haus, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, hielt ein dunkelblauer Dreier-BMW. Sonia stieg aus, ging um den Wagen herum und gab dem Fahrer durch die geöffnete Scheibe einen Abschiedskuss, so intensiv und innig, als ginge es um einen Abschied für zwei bis drei Unendlichkeiten. Dabei streckte sie, notgedrungen, weil in gebückter Haltung, und trotzdem alles andere als zufällig, ihren knackigen Hintern heraus. Die Wirkung war nicht zu übersehen. Gespiegelte Bremslichter auf nassem Asphalt, gereckte Fahrerhälse, darauf Köpfe mit Stielaugen.
    Bevor die Seitenscheibe des BMWs wieder hochfuhr, betrachtete ich einen Augenblick das bis zur Dämlichkeit schöne Gesicht des Fahrers mit den vollen, sehr runden, fast weiblichen Lippen und der sorgfältig gegelten Blondfrisur. Die rechte Hand lag lässig auf dem Lenkradkranz, mit Ringen bestückt wie das faltige Händchen einer welken Diva. Das Bürschchen hätte ja auch mal auf die Idee kommen können auszusteigen, einen Regenschirm aufzuspannen, sich auf die Beifahrerseite zu bemühen und seine Begleiterin trockenen Hauptes zum Eingang zu begleiten, dachte ich. Andererseits: Hätte wahrscheinlich seine Frisur versaut. Und er gehörte augenscheinlich zu den Typen, für die genau das schon eine Katastrophe war. Ich konnte mir nicht helfen, aber Sonias Wahl der männlichen Bekanntschaft hatte etwas reichlich Schräges.
    Ich war noch komplett mit meinen Vorurteilen und Bosheiten beschäftigt, als sie an meiner Tür erschien. Trotz Wind und Wetter perfekt gestylt, das Kostüm betupft vom Regen. In der linken Hand hielt sie den Briefumschlag mit ihrer ersten Beteiligung am Honorar, mit der rechten warf sie mir ein Kusshändchen zu.
    »Danke, Chef! Das ist wirklich lieb von Ihnen. Wie wäre es jetzt mit einer schönen Tasse Kaffee?«
    Ich nickte, ebenso versonnen wie souverän. Stammte auch aus meinem erprobten Repertoire an Gesichtsausdrücken. Und kam irgendwie gut, fand ich.
    Am Schreibtisch, die Beine lässig über die Kante gelegt, schaute ich mir Jüjüs Schnippelbrief genauer an. Ja, ja, die gute alte Post! Es gab vielleicht nicht viele Gründe, diese Institution der Menschheit zu erhalten, aber einen gab es bestimmt: die altertümlich-stoische Hartnäckigkeit, mit der sie alles, aber auch wirklich alles zustellte. Nicht immer heil, nicht immer an die richtige Adresse und nicht immer innerhalb eines Jahrzehnts. Aber am Ende doch immer. Und es gab einen Berufszweig, der sie brauchte wie der Sieche den Tropf: die gestörten Typen, die meinten, mit zusammengeklebten Briefen auf besonders leichte Weise ihren Lebensunterhalt verdienen zu können. War in der Theorie natürlich auch elektronisch möglich, brachte einen aber in der Praxis ganz schnell hinter Gitter.
    An dem Brief war nichts Außergewöhnliches zu entdecken. Außer der Typografie vielleicht, die war eindeutig. Es war die gleiche, aus der täglich die größte Boulevardzeitung zusammengeklebt wurde. Fingerabdrücke gab es mit Sicherheit auch keine, außer Jüjüs und meinen natürlich. Interessanter war da schon der

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