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KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)

KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)

Titel: KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Zipfel
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bekleckertem Lätzchen und glühendem Schädel wie ein Streichholzkopf?
    Ich atmete dreimal tief durch und hoffte, dass der Schmerz bald nachlassen möge. Tat er auch, aber elend langsam.
    Sobald ich mich wieder rühren konnte, ging ich an die Theke und zahlte. Selim grinste immer noch.
    »Machse gud, Ahno. Bisse ssum nächse mah.«
    »Klar, Selim! Sobald sie mich wieder aus dem Krankenhaus entlassen, melde ich mich. Bis dahin: Machse auchse gud!«
    Ich war mir nicht sicher, ob Selim mich überhaupt hatte verstehen können. Meine Stimme erschien mir nämlich immer noch ziemlich heiser. Vielleicht pochte aber auch nur das erhitzte Blut so laut in meinen Ohren.
    Als ich »Selims Döner-Oase« verließ und in den klaren Abend trat, bestellte irgendein Bübchen hinter mir großspurig einen »Döner-Spezial«. Jetzt musste ich grinsen. War aber voreilig von mir, denn es ging noch weiter: »Und wenn’s möglich ist«, hörte ich diesen zittrigen Angeberton eines Jungen, der letzte Nacht zum ersten Mal mit einem feuchten Fleck in seinem Bett aufgewacht war, »ruhig ein bisschen schärfer als sonst!«

8
    Die Nacht war gar nicht nett zu mir! Wahrscheinlich war dieser gottverdammte Döner schuld daran, dass ich nicht schlafen konnte. Dass ich stattdessen Stunde um Stunde da lag und mit offenen Augen ins Dunkle starrte. Unterbrochen nur von kurzen Phasen mit heftigen Träumen, in denen es irgendwie immer um Feuer, Tod und Teufel ging.
    Um halb sieben hatte ich die Nase voll, quälte mich hundemüde aus dem Bett und fuhr ins Büro.
    Ich kochte mir einen Kaffee, der zu dünn war, schüttete ihn weg und kochte mir dann einen zweiten, der zu stark war. Aber egal, Hauptsache er würde mich munter machen!
    Ich ging zum Fenster. Mit dem Kaffeebecher in der Hand schaute ich auf die regennasse Straße herunter. Draußen war es noch nicht hell und nicht mehr dunkel. Die wenigen Leute, die um diese Zeit unterwegs waren, sahen unter ihren Regenschirmen aus wie fremdartige Käfer – bunte, runde, glänzende Panzer auf zwei Beinen, die von irgendwoher nach irgendwohin eilten, auf einer rätselhaften Duftspur von Verpflichtungen.
    Ich presste die Stirn gegen die Fensterscheibe, sie fühlte sich angenehm kühl an. Das habe ich immer schon gemacht, schon als Kind. Stand oft am Fenster, die Stirn fest an die Scheibe gepresst, und schaute den anderen da draußen beim Leben zu. Weil ich oft allein war und, ungefähr bis zur Pubertät, auch nicht besonders gesund. Hustenanfälle, die mich aus heiterem Himmel überfielen, dass ich minutenlang nur so keuchte, bellte und würgte, bis ich das Gefühl hatte zu ersticken. Eine »Reaktion des Unterbewusstseins auf emotionalen Stress«, sagten die Ärzte. Meine Eltern nickten dann immer bloß stumm, weil sie die Autorität von Ärzten nie angezweifelt hätten, und glaubten gleichzeitig kein Wort. So war es immer: Meine Eltern glaubten nur, was sie sahen, sahen nur, was sie wollten und machten sich über den Rest keine großen Gedanken. Mit dieser Ignoranz und geistigen Kurzatmigkeit stiefelten sie durch ihr Leben und produzierten ihr erstes und einziges Kind – mich. Oder besser: nahmen in Kauf, dass ich entstand.
    Kann sein, dass sie sich in einem kurzen Moment der Einigkeit und Ekstase vielleicht sogar entschlossen hatten, mich zu zeugen. War aber genauso wahrscheinlich, dass ihnen die Gründe für diesen kühnen Entschluss schon wieder entfallen waren, kaum dass sie sich verschwitzt und ernüchtert voneinander gelöst und zur Seite gedreht hatten, jeder von ihnen auf seine eigene, vertraute Seite des Ehebetts. Als ich neun Monate später in die Welt plumpste, waren sie nicht weniger ratlos als ich. Eine Ratlosigkeit, die mit uns schlafen ging und schon erwartungsvoll vor dem Bett lag, wenn wir wieder aufwachten, die uns begleitete wie ein gut trainierter Wachhund und sich mit feuchter Schnauze zwischen uns drängte, gutmütig an guten Tagen und bissig an schlechten.
    Diese Ratlosigkeit saß auch zwischen meinem Vater und mir, wenn er mich auf seinen Touren mitnahm, im eigenen Sattelschlepper von MAN, mit weinrotem Führerhaus und mattsilbernem Auflieger. Und als weiterer Fahrgast immer dabei: ein bunter Strauß von Lebensweisheiten, die mit dem wirklichen Leben wenig und mit Weisheit so gut wie gar nichts zu tun hatten.
    »Die Italiener mit ihren Milchlastern sind die Schlimmsten« war eine davon. »Die fahren wie die Bekloppten und scheren sich um nichts. Schlimmer sind höchstens noch die Rumänen

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