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KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)

KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)

Titel: KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Zipfel
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mit ihren alten Kisten, an denen nichts funktioniert, am allerwenigsten die Bremsen!«
    Ich legte dann meine Stirn an die kalte Seitenscheibe, tat so, als hörte ich ihm zu, und ließ die Landschaft an mir vorbei gleiten, die angenehm still und einfach nur da war.
    Die Transportgeschäfte liefen nicht besonders gut. Deshalb war nie genügend Geld im Haus. Was übrig blieb, versoff der Lkw, und im Grunde war es meine Mutter, die uns über Wasser hielt. Schob Nachtwache im Krankenhaus, wischte Erbrochenes, Blut und die schmierigen Reste von Operationen auf, obwohl sie kein Blut sehen konnte und sich vor Erbrochenem höllisch ekelte. Vielleicht war es deshalb so ungeheuer wichtig für sie, dass sie sich als Unternehmergattin fühlen konnte.
    »Mein Mann ist Fuhrunternehmer mit eigenem Lkw!«, erzählte sie ständig jedem, der es hören wollte. Und allen anderen auch. Mein Vater sah sich selbst als »Held der Autobahn, ein echter Trucker eben«. Wer dagegen die »unechten Trucker« waren, habe ich nie herausgefunden. Vermutlich die Italiener. Oder die Rumänen.
    Der Lastwagen war sein ganzer Stolz, ausgerüstet mit allem, was das Fernfahrerleben so lebenswert machte. Sprechfunkgerät zum klug Daherreden, an der Windschutzscheibe ein Duftbäumchen mit »Vanille-Aroma«, Tauchsieder für den Instant-Kaffee und auf der Konsole ein Kofferradio, aus dem Stunde um Stunde deutsche Schlager dudelten oder Country-Musik. Echte Trucker-Romantik eben. Und am Heck, quer über gesamte Breite des mattsilbernen Aufliegers, ein Schild: »Damen, aufgepasst! Meiner ist 18 Meter lang ...!!!«
    Mein Vater konnte sich jedes Mal totlachen, wenn er die Hecktüren öffnete und das Schild las, als wäre es das erste Mal. Das sprach für seine Begeisterungsfähigkeit wie für die Begrenztheit seines Humors, der auf jeden Fall erheblich kürzer war als 18 Meter. Aber es gab tatsächlich Damen, die für diese Art von Information empfänglich waren. Die trafen wir meistens auf Autobahnraststätten. Mit gurrender Stimme und müden Augen bestätigten sie meinem Vater, dass er ein »Süßer« sei, sorgten sich darüber, dass er womöglich unter »Einsamkeit« leiden könne und erkundigten sich schließlich, »wie es denn mit ihnen beiden wäre«, was mein Vater daraufhin recht ausführlich mit ihnen erläuterte, aber immer erst, nachdem er mich zum Spielen nach draußen geschickt hatte. Nach meinem Befinden erkundigten sich die Frauen übrigens nie.
    Was es mit den »Rumänen und ihren alten Kisten, an denen nichts funktionierte, am allerwenigsten die Bremsen« tatsächlich auf sich hatte, lernte ich auf einer Tour über den Brenner. Auf einem Rastplatz direkt an der Europabrücke mussten wir unsere Fahrt bis zum nächsten Morgen unterbrechen – Ruhezeit. Während mein Vater die Tachoscheibe wechselte und die Frachtpapiere sortierte, näherte sich aus der Dunkelheit eine Frau von beängstigender Üppigkeit, die sie – absichtlich oder weil der Stoff für so viel Fleisch nicht reichte? – nur sehr unvollkommen verhüllt hatte. Ich war mir sicher, dass sie sich erkälten würde.
    Mein Vater schätzte die Lage anders ein. Wie üblich verschwanden die beiden nach einer kurzen Weile in der Kabine, wie üblich wurde ich nach draußen geschickt.
    Mit knurrendem Magen machte ich mich auf in Richtung Rasthaus. Das Angebot an Speisen war schön anzuschauen. Noch schöner wäre es gewesen, wenn ich mir etwas davon hätte aussuchen und bezahlen können.
    An einem großen, runden Tisch saß eine Gruppe von circa zehn Fernfahrern. Einer von ihnen hatte anscheinend gesehen, wie ich hungrig herumschlich, und winkte mich zu sich heran. Schon im Sitzen kam er mir vor wie ein Riese, und als er langsam aufstand, wusste ich: Er war ein Riese. Aber was für einer? In meiner Vorstellung gab es immer zwei Arten: die einen, die kleine Kinder gefangen hielten und wie Brathähnchen verspeisten, und die anderen, gutmütigen, die sie beschützten. Beschützt oder gefressen werden, dazwischen gab es nichts.
    Mein Riese war zum Glück einer der freundlichen, denn so wie er sah keiner aus, der kleine Kinder fraß: Graue Stoppelhaare, große Ohren, von denen sich das linke eng an den Schädel schmiegte, während das rechte unternehmungslustig in die Welt horchte, und auf der Stirn ein Muttermal, das aussah wie ein kleines Bierfass.
    »Na, Junge ... bist alleine ... hast Hunger ... wo ist Eltern?«
    »Mein Papa ist noch draußen im Laster, aber er kommt bestimmt bald.«
    Er gab mir

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