Katz und Maus
der Turnstunde, entwickelte und die üblichen Sauereien nicht mitmachte, war er schon wieder der ganz besondere Mahlke, der auf teils erlesene, teils verkrampfte Art Beifall sammelte; schließlich wollte er später in die Arena, womöglich auf die Bühne, übte sich als Clown, indem er glibbernde Überzieher entfernte, erhielt gemurmelte Zustimmung und war beinahe ein Clown, wenn er seine Kniewellen am Reck drehte und die silberne Jungfrau durch den sauren Turnhallenmief wirbelte. Aber den meisten Beifall stapelte Mahlke während der Sommerferien auf dem abgesoffenen Kahn, obgleich wir uns sein besessenes Tauchen kaum als wirksame Zirkusnummer vorstellen konnten. Wir lachten auch nie, wenn er Mal um Mal blau und bibbernd in den Kahn stieg, etwas hochholte, um uns hochgeholtes Zeug zeigen zu können. Wir sagten allenfalls nachdenklich bewundernd: »Doll, Mensch, prima. Deine Nerven möchte ich haben. Bist ein verrückter Hund, Joachim. Wie haste das bloß wieder losgekriegt?«
Beifall tat ihm gut und besänftigte seinen Hüpfer am Hals; Beifall machte ihn gleichfalls verlegen und gab demselben Hüpfer neuen Auftrieb. Zumeist winkte er ab, was ihm neuen Beifall einbrachte. Er war ja kein Angeber; nie hast Du gesagt: »Mach das mal nach.« Oder: »Das soll mir mal einer nachmachen.« Oder: »Das hat noch keiner von Euch geschafft, wie ich vorgestern viermal kurz nacheinander runter ging, mittschiffs bis in die Kombüse kam und die Konservendose hochbrachte. War bestimmt eine französische, waren nämlich Froschschenkel drinnen, schmeckten bißchen wie Kalbfleisch, aber ihr hattet ja Schiß, wolltet nicht mal probieren, nachdem ich schon die halbe Büchse leergespachtelt hatte. Und holte noch eine zweite hoch, fand sogar einen Büchsenöffner, aber die zweite war faul: Corned Beef.«
Nein, Mahlke sprach nie so. Er tat etwas Außergewöhnliches, holte zum Beispiel mehrere Konservendosen, die der eingestanzten Beschriftung nach englischen oder französischen Ursprungs waren, aus der ehemaligen Kombüse des Kahns, organisierte unten sogar einen halbwegs brauchbaren Büchsenöffner, schlitzte vor unseren Augen wortlos die Büchsen auf, futterte jene angeblichen Froschschenkel, ließ beim Kauen seinen Adamsapfel Klimmzüge machen – ich vergaß zu sagen, daß Mahlke von Natur aus verfressen war, dennoch mager blieb - und hielt uns auffordernd, aber nicht dringlich, die Büchse hin, als sie halb leer war. Wir dankten, denn Winter mußte schon während des Zuguckens auf einen der leeren Drehkränze kriechen und in Richtung Hafeneinfahrt längere Zeit lang erfolglos würgen.
Natürlich bekam Mahlke auch nach dieser demonstrativen Mahlzeit seinen Beifall, winkte ab, fütterte mit den Resten der Froschschenkeldose und mit vergammeltem Corned Beef Möwen, die schon während der Fresserei in greifbarer Nähe irregetan hatten. Schließlich kegelte er die Blechdosen und mit ihnen die Möwen über Bord, putzte mit Sand den Büchsenöffner; nur er allein war Mahlke aufbewahrenswert. Wie den englischen Schraubenzieher, wie dieses und jenes Amulett, trug er fortan und später, wenn auch nicht regelmäßig, sondern nur, wenn er auf Konservendosen in der Kombüse eines ehemaligen polnischen Minensuchbootes aus war – nie verdarb er sich den Magen –jenen Büchsenöffner an einem Bindfaden am Hals, trug das Ding unterm Hemd neben dem anderen Klimbim in die Schule und schleppte es sogar zur Frühmesse in die Marienkapelle; denn jedesmal, wenn Mahlke an der Kommunionbank kniete, den Kopf in den Nacken legte, die Zunge ausfahren ließ, und Hochwürden Gusewski ihn mit der Hostie versorgte, spähte der Ministrant an der Seite des Priesters in Mahlkes Hemdkragen: da baumelten an Deinem Hals der Büchsenöffner neben der Madonna und dem eingefetteten Schraubenzieher; und ich bewunderte Dich, ohne daß Du es darauf angelegt hattest. Nein, Mahlke war kein Streber. Auch daß sie ihn im Herbst desselben Jahres, in dem er das Schwimmen gelernt hatte, aus dem Jungvolk warfen und in die Hitlerjugend abschoben, weil er sich an mehreren Sonntagen geweigert hatte, am Vormittag Dienst anzusetzen und seinen Jungzug – er war Jungzugführer – zur Morgenfeier in den Jäschkentaler Wald zu führen, brachte ihm, zumindest in unserer Klasse, laute Bewunderung ein. Wie gewohnt nahm er unsere Kundgebungen gelassen bis verlegen hin und versäumte auch weiterhin, nunmehr als einfaches Mitglied der Hitlerjugend, den Dienst an den Sonntagvormittagen; nur fiel
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