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Katz und Maus

Katz und Maus

Titel: Katz und Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Hände – denn auf einmal hing er im Kniehang am Trapez – nach solch einer goldstaubwimmelnden Lichtbahn greifen; so wunderbar altmodisch war unsere Turnhalle, und auch die Umkleideräume bekamen ihr Licht durch Spitzbogenfenster. Deshalb nannten wir den Umkleideraum: Die Sakristei.
    Mallenbrandt pfiff, und Primaner wie Untersekundaner mußten nach dem Korbballspiel antreten, für den Kaleu »Imfrühtauzubergewirziehnfallera« singen und wurden in den Umkleideraum entlassen. Sofort hingen sie wieder an dem Kapitänleutnant. Nur die Primaner gaben sich weniger aufdringlich. Während sich der Kaleu nach sorgfältigem Waschen der Hände und Achselhöhlen über dem einzigen Waschbecken – Duschräume hatten wir keine – mit raschen Bewegungen seine Unterwäsche anzog, das geliehene Turnzeug, ohne daß wir etwas zu sehen bekamen, abstreifte, mußte er wieder Fragen der Schüler beantworten, tat das lachend, gutmütig, erträglich von oben herab; um dann zwischen zwei Fragen zu verstummen: unsicher tastende Hände, ein zuerst verstecktes, dann offensichtliches Suchen, auch unter der Bank – »Moment mal Jungs, bin gleich wieder auf Deck«, – und in marineblauer Hose, in weißem Hemd, ohne Schuhe aber in Strümpfen drängte sich der Kaleu durch Schüler und Bankreihen, durch den Zoogeruch: Kleines Raubtierhaus. Offen und hochgestellt stand sein Kragen, bereit für den Binder und das Band mit jenem, mir unaussprechlichen Orden. An Mallenbrandts Lehrerzimmertür hing der wöchentliche Turnhallenplan. Gleichzeitig klopfte er an und trat ein.
    Wer tippte wie ich nicht auf Mahlke? Bin nicht sicher, daß ich sofort, hätte sofort, rief aber auf keinen Fall laut: »Wo steckt denn Mahlke?« Auch Schilling rief nicht, Hotten Sonntag, Winter Kupka Esch, keiner rief; vielmehr einigten wir uns alle auf den mickrigen Buschmann, ein Bengelchen, das selbst nach einem Dutzend Ohrfeigen ein ewiges, ihm angeborenes Grinsen nicht aufzugeben vermochte.
    Als Mallenbrandt in flauschigem Bademantel mit dem halbangezogenen Kapitänleutnant zwischen uns stand und sein »Werwardas? Sollsichmelden!« brüllte, wurde ihm Buschmann zugeschoben. Auch ich rief Buschmann und war sogar in der Lage, bei mir und ungezwungen zu denken: Richtig, das kann nur Buschmann gewesen sein, wer sonst als Buschmann.
    Nur ganz außen, im Hinterkopf begann es, während Buschmann von mehreren Seiten, auch vom Kaleu und dem Klassensprecher der Prima verhört wurde, zu kribbeln. Und das Kribbeln setzte sich fest, als Buschmann seine erste Ohrfeige bekam, weil das Grinsen selbst unterm Verhör nicht aus seinem Gesicht weichen wollte. Während ich mit den Augen wie mit dem Gehör auf ein klippklares Geständnis Buschmanns wartete, wuchs mir vom Nacken aufwärts die Gewißheit: Nana, ob das nicht ein gewisser Soundso gewesen ist! Schon verlor sich mein Lauern auf ein klärendes Wörtchen des grinsenden Buschmann, zumal die Menge der ihm verabfolgten Ohrfeigen Mallenbrandts Unsicherheit verriet. Auch sprach er nicht mehr von dem verschwundenen Gegenstand, sondern brüllte zwischen Schlag und Schlag: »Du sollst das Grinsen lassen, Grins nicht! Ich werde Dir das Grinsen noch austreiben!«
    Nebenbei gesagt, Mallenbrandt schaffte es nicht. Ich weiß nicht, ob es Buschmann heute noch gibt; aber sollte es einen Zahnarzt, Tierarzt oder Assistenzarzt Buschmann geben – Heini Buschmann wollte Medizin studieren – so wird es ein grinsender Dr. Buschmann sein; denn das verliert sich nicht so schnell, ist dauerhaft, überlebt Kriege und Währungsreformen und war schon damals, als der Kapitänleutnant mit leerem Kragen auf den Erfolg eines Verhöres wartete, den Ohrfeigen des Studienrates Mallenbrandt überlegen. Verstohlen – obgleich Buschmann alle Augen auf sich zog – drehte ich mich nach Mahlke um, mußte ihn nicht suchen, denn vom Nacken her wußte ich, wo er Marienlieder im Kopf hatte. Fertig angezogen, nicht weit entfernt aber abseits allem Gedränge, knöpfte er sich den obersten Knopf eines Hemdes, das dem Schnitt und dem Streifen nach von seines Vaters Oberhemdennachlaß abgehoben sein mochte. Er hatte beim Zuknöpfen Mühe, sein Kennzeichen hinter dem Knopf einzusperren.
    Mahlke machte, abgesehen von dem Gefummel am Hals und den mitarbeitenden Kaumuskeln, einen ruhigen Eindruck. Als er begriffen hatte, daß der Knopf nicht über dem Adamsapfel zu schließen war, langte er sich aus der Brusttasche seines noch hängenden Jacketts eine zerdrückte Krawatte. Niemand in

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