Katz und Maus
unserer Klasse trug einen Schlips. In der Obersekunda und in der Prima trugen einige Fatzkes lächerliche Fliegen. Zwei Stunden zuvor, während der Kaleu vom Katheder weg seinen naturbegeisterten Vortrag gehalten hatte, hatte Mahlke seinen Hemdkragen noch offen getragen; aber in seiner Brusttasche knüllte schon der Schlips und lauerte auf die große Gelegenheit.
Mahlkes Krawattenpremiere! Vor dem einzigen, obendrein fleckigen Spiegel des Umkleideraumes würgte er sich, ohne nahe heranzutreten, eher auf Distanz und pro forma, den buntgetupften, wie ich heute meine, geschmacklosen Lappen um den hochgestellten Hemdkragen, schlug den Kragen um, zupfte noch einmal am viel zu großen Knoten und sprach dann nicht laut aber betont, daß sich sein Wort vom immer noch geführten Verhör, vom Geräusch jener Ohrfeigen, die Mallenbrandt, auch gegen den Einspruch des Kapitänleutnants, unermüdlich und trocken in Buschmanns Grinsen schlug, verständlich abhob: »Möchte zwar wetten, daß es Buschmann nicht gewesen ist. Aber hat denn schon jemand Buschmanns Klamotten durchsucht?«
Mahlke hatte sofort Zuhörer. Dabei hatte er zum Spiegel gesprochen; seine Krawatte, der neue Trick, fiel erst später aber nicht sonderlich auf. Eigenhändig durchsuchte Mallenbrandt Buschmanns Kleider und hatte sogleich Grund, abermals in das Grinsen hineinzuschlagen, weil er in beiden Jackentaschen mehrere angebrochene Packungen Präservative fand, mit denen Buschmann in den Klassen der Oberstufe Kleinhandel trieb; sein Vater war Drogist. Sonst fand Mallenbrandt nichts, und der Kapitänleutnant resignierte leichthin, knüpfte sich seinen Offiziersbinder, legte den Kragen um, tippte an die leere, zuvor hochdekorierte Stelle und schlug Mallenbrandt vor, die Geschichte nicht allzu ernst zu nehmen: »Das läßt sich ersetzen. Ist ja nicht die Welt, Herr Studienrat. Dummerjungenstreich!« Aber Mallenbrandt ließ Turnhalle und Umkleideraum abschließen und durchsuchte, unterstützt von zwei Primanern, unsere Taschen, sowie jeden Winkel des Raumes, der als Versteck in Frage gekommen wäre. Anfangs und belustigt half der Kapitänleutnant, wurde dann ungeduldig und tat etwas, das sonst niemand im Umkleideraum zu tun wagte: er rauchte Zigaretten nacheinander, trat die Kippen auf dem Linoleumfußboden aus und geriet offensichtlich in schlechte Stimmung, als ihm Mallenbrandt wortlos einen Spucknapf zuschob, der seit Jahren unbenutzt neben dem Waschbecken verstaubte und als Versteck des gestohlenen Gegenstandes bereits untersucht worden war.
Der Kapitänleutnant errötete schülerhaft, riß sich die knappangerauchte Zigarette vom leichtgeschwungenen Sprechmund, rauchte nicht mehr, sondern verschränkte die Arme, ging sodann zum nervösen Ablesen der Zeit über, indem er mit trockener Boxerbewegung seine Armbanduhr aus dem Ärmel fahren und seine Eile beweisen ließ.
Er verabschiedete sich mit Handschuhen über den Fingern nahe der Tür und gab zu verstehen, die Art und Weise der Untersuchung könne ihm nicht gefallen, er werde die ärgerliche Geschichte dem Direktor der Schule übergeben, denn er habe nicht vor, sich seinen Urlaub von schlechterzogenen Stinten vermiesen zu lassen. Mallenbrandt .warf einem Primaner den Schlüssel zu, und der Primaner war ungeschickt genug, beim Aufschließen der Umkleideraumtür eine peinliche Pause entstehen zu lassen.
VIII
Die weiteren Untersuchungen verquasten den Sonnabendnachmittag, führten zu keinem Ergebnis und sind mir nur in wenigen, hier kaum erzählenswerten Einzelheiten haften geblieben, da ich Mahlke im Auge bewahren mußte, auch seine schon erwähnte Krawatte, deren Knoten er von Zeit zu Zeit höher zu rücken versuchte; aber es hätte, um Mahlke glücklich zu machen, eines Nagels bedurft. – Dir war nicht zu helfen.
Und der Kapitänleutnant? Wenn diese Frage berechtigt ist, wird sie nur mit dürren Worten zu beantworten sein: er fehlte während der nachmittäglichen Untersuchung, und nie bestätigte Vermutungen trafen womöglich zu: er soll in Begleitung seiner Verlobten die drei oder vier Ordensgeschäfte der Stadt abgeklappert haben. Irgendjemand aus unserer Klasse will ihn am folgenden Sonntag im »Cafe Vierjahreszeiten« gesehen haben: nicht nur die Verlobte und deren Eltern umgaben ihn, auch an seinem Hemdkragen fehlte nichts: und die Gäste des Cafes mögen scheu bemerkt haben, wer in ihrer Mitte saß und den zähen Kuchen des dritten Kriegsjahres mit der Gabel manierlich zu verringern bemüht
Weitere Kostenlose Bücher