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Katz und Maus

Katz und Maus

Titel: Katz und Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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an ein unregelmäßiges, bei den Mädchen und Zöpfen beginnendes Aufstehen. Als ich mich nach Mahlke umblickte, war er weg, und nur seinen Mittelscheitel sah ich vor dem rechten Ausgang mehrmals auftauchen, konnte aber, da eines meiner Beine während des Vortrages eingeschlafen war, nicht sofort aus der Fensternische und auf die gebohnerten Dielen. Erst im Umkleideraum neben der Turnhalle stieß ich wieder auf Mahlke, fand aber kein erstes Wort fürs Gespräch. Schon beim Umkleiden wurden Gerüchte laut, bestätigten sich: uns wurde die Ehre zuteil, denn der Kapitänleutnant hatte seinen ehemaligen Turnlehrer Studienrat Mallenbrandt gebeten, wieder einmal, obgleich er kaum im Training sei, in der guten alten Turnhalle mitturnen zu dürfen. Während der Doppelstunde, die wie immer am Sonnabend den Unterricht abschloß, zeigte er zuerst uns, dann den Primanern, die sich vom Beginn der zweiten Stunde an die Turnhalle mit uns teilten, was er konnte.
    Untersetzt, schwarz lang behaart, gut gebaut. Er hatte sich bei Mallenbrandt die traditionellen roten Turnhosen, das weiße Turnhemd mit rotem Bruststreifen und dem im Bruststreifen eingelassenen schwarzen C geliehen. Während des Umkleidens hing eine Traube an ihm. Viele Fragen: ». . . . darf ich mal von nahe besehen? Wie lange dauert? Und wenn man nun? Aber ein Freund meines Bruders, der bei den Schnellbooten ist, sagt. . .« Seine Antworten kamen geduldig. Manchmal lachte er ohne Grund aber ansteckend. Der Umkleideraum wieherte; und nur deshalb fiel mir Mahlke auf: er lachte nicht mit, war mit dem Zusammenfalten und Aufhängen seiner Kleidungsstücke beschäftigt.
    Mallenbrandts Trillerpfeife rief uns in die Turnhalle und unters Reck. Der Kaleu leitete, von Mallenbrandt behutsam unterstützt, die Turnstunde, das heißt, wir mußten uns nicht besonders anstrengen, weil er keinen Wert darauf legte, uns etwas vorzumachen, unter anderem die Riesenwelle am Reck mit gegrätschtem Abgang. Außer Hotten Sonntag hielt nur noch Mahlke mit, aber niemand mochte hingucken, so scheußlich und mit krummen Knien krampfte er Welle und Grätsche. Als der Kaleu mit uns ein lockeres und sorgfältig aufgebautes Bodenturnen begann, tanzte Mahlkes Adamsapfel immer noch toll und wie gestochen. Beim Hechtsprung über sieben Mann, der mit einer Rolle vorwärts aufgefangen werden sollte, landete er schief auf der Matte, vertrat sich wohl den Fuß, saß mit lebendigem Knorpel abseits auf einem Kletterbalken und muß sich verdrückt haben, als die Primaner zu Beginn der zweiten Stunde dazu kamen. Erst beim Korbballspiel gegen die Prima machte er wieder bei uns mit, warf auch drei oder vier Körbe; wir verloren trotzdem. Unsere neugotische Turnhalle wirkte im gleichen Maße feierlich, wie die Marienkapelle auf Neuschottland den nüchtern gymnastischen Charakter einer ehemaligen und modern entworfenen Turnhalle beibehielt, soviel bunten Gips und gespendeten Kirchenpomp Hochwürden Gusewski in jenes, durch breite Fensterfronten brechende Turnerlicht stellen mochte. Wenn dort über allen Geheimnissen Klarheit herrschte, turnten wir in geheimnisvollem Dämmern: unsere Turnhalle hatte Spitzbogenfenster, deren Backsteinornamente die Verglasung mit Rosetten und Fischblasen aufteilten. Während in der Marienkapelle Opfer, Wandlung und Kommunion vollausgeleuchtete zauberlose und umständliche Betriebsvorgänge blieben - es hätten an Stelle der Hostien auch Türbeschläge, Werkzeuge oder wie einst, Turngeräte, etwa Schlaghölzer und Stafettenstäbe verteilt werden können – wirkte im mystischen Licht unserer Turnhalle das simple Auslosen jener beiden Korbballmannschaften, die mit zügigem Zehnminutenspiel die Turnstunde beendeten, feierlich und ergreifend, ähnlich einer Priesterweihe oder Firmung; und das Wegtreten der Ausgelosten in den schummrigen Hintergrund geschah mit der Demut heiliger Handlung. Besonders wenn draußen die Sonne schien und einige morgendliche Sonnenstrahlen durchs Laub der Pausenhofkastanien und durch die Spitzbogenfenster fanden, kam es, sobald an den Ringen oder am Trapez geturnt wurde und dank des schräg einfallenden Seitenlichtes, zu stimmungsvollen Effekten. Wenn ich mir Mühe gebe, sehe ich heute noch den untersetzten Kapitänleutnant in den meßdienerroten Turnhosen unseres Gymnasiums am schwingenden Trapez leicht und flüssig turnen, sehe seine Füße – er turnte barfuß – makellos gestreckt in einen der schrägen und goldflimmernden Sonnenstrahlen tauchen, sehe seine

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