Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Katz und Maus

Katz und Maus

Titel: Katz und Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
schon nahm er meinen Arm, lachte auf neue Art ungezwungen, plauderte plauderte. Er, der Einsilbige, sprach übers Wetter – Altweibersommer, goldene Fäden in der Luft - und begann unvermittelt, doch ohne die Stimme zu senken, im gleichen Plauderton zu berichten: »Hab mich übrigens freiwillig gemeldet. Schüttel über mich selber den Kopf. Weißt ja, wie wenig ich davon halte: Militär, Kriegspielen und diese Überbetonung des Soldatischen. Rat mal, zu welcher Gattung. Keine Spur. Mit der Luftwaffe ist doch schon lange nichts mehr los. Daß ich nicht lache: Fallschirmjäger! Nun sag bloß, ich will zu den U-Booten. Na also, endlich! Das ist die einzige Gattung, die noch Chancen in sich hat; obgleich ich mir kindisch vorkommen werde in solch einem Ding, und ich viel lieber was Zweckmäßiges täte oder was Komisches. Weißt ja, wollte mal Clown werden. Was einem als Junge nicht alles einfällt. Dabei finde ich den Beruf heute noch ganz passabel. Sonst geht es mir so lala. Och, Penne ist Penne. Was man früher für Quatsch gemacht hat. Erinnerst Du Dich? Konnte mich einfach nicht an das Ding da gewöhnen. Dachte, das ist eine Art Krankheit, dabei ist das vollkommen normal. Kenne Leute oder hab welche gesehen, die noch größere haben, ohne sich groß aufzuregen. Fing damals mit der Katzengeschichte an. Weißt Du noch, wir lagen auf dem Heinrich-Ehlers-Platz. Lief wohl gerade ein Schlagballturnier. Ich schlief oder drusselte vor mich hin, und das graue Biest oder war es schwarz, sah meinen Hals und sprang, oder einer von Euch', Schilling, glaub ich, war ihm zuzutrauen, nahm die Katze . . . Na, Schwamm drüber. Nein, auf dem Kahn war ich nicht mehr. Störtebeker? Habe davon gehört. Soll er, soll er. Habe den Kahn nicht gepachtet, oder? Laß Dich mal sehen bei uns.« Erst am dritten Advent, und nachdem mich Mühlke den Herbst über zum fleißigsten Meßdiener gemacht hatte, kam ich seiner Einladung nach. Ich mußte bis in die Adventszeit hinein alleine dienen, weil Hochwürden Gusewski keinen zweiten Ministranten auftreiben konnte. Eigentlich wollte ich Mahlke schon am ersten Advent besuchen und ihm die Kerze bringen, aber die Zuteilung kam zu spät, und Mahlke konnte die geweihte Kerze erst am zweiten Advent vor dem Marienaltar aufstellen. Als er mich fragte, »Kannst Du welche auftreiben? Gusewski will keine rausrücken«, sagte ich: »Mal sehen.« Und ich besorgte ihm eine jener in Kriegszeiten raren langen kartoffelkeimbleichen Kerzen; denn unsere Familie hatte, weil ja mein Bruder gefallen war, Anspruch auf den rationierten Artikel. Und ich ging zu Fuß zum Wirtschaftsamt, bekam nach Vorlage des Totenscheines den Bezugschein, suchte mit der Straßenbahn das Spezialgeschäft in Oliva auf, fand keine Kerzen vorrätig, machte noch zweimal den Weg und konnte Dich erst zum zweiten Advent beliefern und am zweiten Advent mit der Kerze, so wie ich es mir vorgestellt und gewünscht hatte, vor dem Marienaltar knien sehen. Während Gusewski und ich in der Adventszeit violettes Tuch trugen, wuchs Dein Hals aus weißem Schillerkragen, den der gewendete umgearbeitete Mantel des annodazumal verunglückten Lokomotivführers nicht verdecken konnte, zumal Du Dir – eine weitere Neuerung – keinen Shawl mit großer Sicherheitsnadel vorgebunden hattest. Und Mahlke kniete am zweiten wie dritten Advent, da ich ihn am Nachmittag beim Wort nehmen und besuchen wollte, lange und steif auf grobem Teppich. Sein glasiger Blick, der nicht zucken wollte – oder er zuckte, sobald ich am Altar zu tun hatte – war über die gestiftete Kerze hinweg auf den Bauch der Gottesmutter gerichtet. Aus beiden Händen hatte er, ohne mit gekreuzten Daumen die Stirn zu berühren, ein steiles Dach dicht vor der Stirn und ihren Gedanken errichtet. Und ich dachte: Heute geh ich. Ich geh und guck ihn mir an. Den guck ich mir mal genau an. Den werd ich mir mal. Da muß doch was dahinter. – Außerdem hat er mich eingeladen.
    So kurz die Osterzeile war: die Einfamilienhäuschen mit leeren Spalieren an rauhgeputzten Fassaden, die gleichmäßige Bepflanzung der Bürgersteige – es hatten die Linden vor Jahresfrist ihre Pfähle verloren, bedurften aber immer noch der Stützen - entmutigten und ermüdeten mich, obgleich unsere Westerzeile vom gleichen Guß war, oder weil unsere Westerzeile gleich roch, atmete und mit Liliputvorgärten die Jahreszeiten durchspielte. Noch heute, wenn ich, was selten vorkommt, das Kolpinghaus verlasse, Bekannte oder Freunde in

Weitere Kostenlose Bücher