Katz und Maus
Stockum oder Lohhausen, zwischen Flugplatz und NordFriedhof, besuche und durch Siedlungsstraßen muß, die sich ähnlich ermüdend und entmutigend von Hausnummer zu Hausnummer, von Linde zu Linde wiederholen, bin ich immer noch auf dem Weg zu Mahlkes Mutter und Mahlkes Tante, zu Dir, zum Großen Mahlke: und es klebt die Klingel an einem Gartentor, das sich mit hohem, nicht einmal anstrengend hohem Schritt übersteigen ließe. Schritte durch den winterlichen aber schneelosen Vorgarten mit seinen kopflastig eingepackten Rosenbüschen. Zierbeete ohne Pflanzen sind mit heilen und zertretenen Ostseemuscheln ornamental belegt. Der keramische Laubfrosch von der Größe eines hockenden Kaninchens auf einer Platte Bruchmarmor, deren Ränder umgegrabene Gartenerde einfaßt und an Stellen krümelig oder verkrustet überkriecht. Und im Zierbeet auf der anderen Seite jenes schmalen Weges, der mich, solange ich denke, die paar Schritte von der Gartentür zu den drei Klinkerstufen vor der ocker gebeizten Rundbogentür machen läßt, steht auf gleicher Höhe mit dem Laubfrosch eine beinahe senkrechte, mannshohe Stange und trägt ein Vogelhäuschen nach Almhüttenart: Sperlinge, die beim Futter bleiben, während ich zwischen Zierbeet und Zierbeet sieben oder acht Schritte mache; man sollte glauben, die Siedlung riecht frisch reinlich sandig und der Jahreszeit entsprechend – es roch aber in der Osterzeile, in der Westerzeile, im Bärenweg, nein, überall in Langfuhr, Westspreußen; besser noch, in ganz Deutschland roch es in jenen Kriegsjahren nach Zwiebeln, in Margarine gedünsteten Zwiebeln, ich will mich nicht festlegen: nach mitgekochten, nach frischgeschnittenen Zwiebeln roch es, obgleich Zwiebeln knapp waren und kaum aufzutreiben, obgleich man über knappe Zwiebeln im Zusammenhang mit dem Reichsmarschall Göring, der irgend etwas über knappe Zwiebeln im Rundfunk gesagt hatte, Witze riß, die in Langfuhr, Westpreußen, in ganz Deutschland im Umlauf waren; deshalb sollte ich meine Schreibmaschine oberflächlich mit Zwiebelsaft einreihen und ihr wie mir eine Ahnung jenes Zwiebelgeruches vermitteln, der in jenen Jahren ganz Deutschland, Westpreußen, Langfuhr, die Osterzeile wie die Westerzeile verpestete und vorherrschenden Leichengeruch verbot.
Mit einem Schritt nahm ich die drei Klinkerstufen, wollte mit zum Griff geformter Hand den Türdrücker fassen, als die Tür von innen geöffnet wurde. Mahlke mit Schillerkragen machte in Filzschuhen auf. Er mochte seinen Mittelscheitel kurz zuvor frisch gerichtet haben. Starr und in Kammsträhnen liefen nicht helle, nicht dunkle Haare vom Scheitel schräg abwärts nach hinten, hielten noch; aber als ich nach einer Stunde ging, fielen sie schon und zitterten, sobald er sprach, über großen gutdurchgebluteten Ohren. Wir saßen nach hinten hinaus, im Wohnzimmer, das sein Licht durch die vorgebaute Glasveranda bekam. Es gab Kuchen nach irgendeinem Kriegsrezept: Kartoffelkuchen, denn Rosenwasser schmeckte vor und sollte an Marzipan erinnern. Hinterdrein eingeweckte Pflaumen, die einen normalen Geschmack hatten und in Mahlkes Garten - man konnte den Baum blätterlos und mit weißgestrichenem Stamm im linken verglasten Feld der Veranda sehen – während des Herbstes reif geworden waren. Der Stuhl wurde mir angewiesen: ich hatte den Blick nach draußen, saß Mahlke gegenüber, der die Veranda im Rücken hatte, an einer Schmalseite des Tisches. Links von mir im Seitenlicht, so daß graues Haar silbrig kräuselte, Mahlkes Tante; rechts, mit rechter belichteter Seite, doch weniger flimmernd, weil straffer gekämmt, Mahlkes Mutter. Auch seine Ohrenränder und den Haarflaum auf den Rändern, sowie die Spitzen der brüchig zitternden Haarsträhnen zeichnete kaltes Winterlicht nach, obgleich das Zimmer überheizt war. Mehr als weiß leuchtete der obere Teil des breitfallenden Schillerkragens, lief nach unten hin grau an: Mahlkes Hals lag flach im Schatten.
Die beiden Frauen, grobknochig, auf dem Lande geboren, aufgewachsen und mit den Händen verlegen, sprachen viel, nie gleichzeitig, doch immer in Richtung Joachim Mahlke, auch wenn sie mich anredeten und nach dem Befinden meiner Mutter befragten. Beide sprachen mir über ihn, der den Dolmetscher abgab, Beileid aus: »Nu is auch Ihr Bruder Klaus abjeblieben. Ech kannt ihn zwar nur vom Sahn – abä trotzdem, son forscher Mansch.«
Mahlke regierte milde und bestimmt. Allzu persönliche Fragen – meine Mutter unterhielt, während mein Vater aus
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