Katzenmond
riesige, stachlige Ohren.
»Er ist weg«, sagte Serrano.
»Nein«, hustete Wu. »Er wartet auf Dahlia und die Kleinen.«
»Dann wartet er vergeblich. Und ich weiß, wo er wohnt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir ihn kriegen, komm raus!«
Wu schüttelte den nassen Schädel. »Ohne etwas unter den Hinterläufen schaffe ich es nicht. Es fällt mir schon schwer …« Ein Knacken aus der Richtung der Hütte unterbrach sie. »Siehst du?«
Serrano wandte den Kopf. Einen Augenblick lang erwog er, den Schatten auf der Stelle aus seinem Versteck zu zerren und ihm die Gurgel durchzubeißen. Doch inzwischen würde Wu womöglich ertrinken.
»Hör zu«, sagte er, »was ich jetzt tue, wird dir nicht gefallen. Aber eine bessere Idee hab ich nicht.«
Ihre Augen glommen schwach. »Lass sehen, Princeps.«
Serrano spähte in die Tonne. »Wichtig ist, dass du versuchst, dich zu halten, solange es geht. Lass nicht los.«
Die Antwort war ein Keuchen. Während Wu ihre Krallen verzweifelt in den Rand der Tonne schlug, neigte Serrano sich über sie und nahm sanft, aber energisch ihren Nacken zwischen die Zähne. Als er daran zog, erwies sich ihre elastische Haut entschieden als Nachteil. Serrano lockerte den Biss und setzte ihn tiefer. Im selben Augenblick lösten sich Wus Krallen. Für Bruchteile von Sekunden sackte ihr Körper abwärts, dann riss Serrano sie mit einem Ruck bäuchlings über den Tonnenrand. Einige Atemzüge lang hing sie reglos da, ein Stück nasses Fell. Dann lief ein Zittern durch ihren Körper, und mit einer letzten Anstrengung wuchtete sie auch den Rest ihres Körpers aus der Tonne. Augenblicklich war Serrano bei ihr. »Kommst du auf die Beine?«
Sie bleckte die Zähne. »Kümmere dich lieber um den Schatten!«
Das war Wu. Spielte noch halbtot die Kaiserin. Aber sie hatte recht. Serranos Ohr meldete ein weiteres Geräusch, diesmal vom Steinhaufen her.
»Kriech hinter den Klotz«, sagte er. »Für jemanden, an dem die Wut nagt, bist du ein gefundenes Fressen.«
Er ließ sie ungern zurück. Kaiserin hin oder her, Wu hatte tapfer gekämpft. Mehr noch, sie war bereit gewesen, sich für ihre Freundinnen zu opfern. Während Serrano dem Steinhaufen entgegeneilte, fragte er sich, ob er je dieselbe Größe aufbringen würde, und wenn ja – für wen.
Er kam zu spät. Der Schatten hatte sein Versteck bereits verlassen. »Wie beruhigend zu wissen, dass auf manches Verlass ist«, sagte er und setzte sich. »Auf den Eifer der Ameisen, die Spinnen im September und die Feigheit des Schwätzers!«
Er wartete. Als nichts kam, fuhr er fort: »Du hast lange gebraucht, um dich von der Schmach zu erholen, die Balthas dirzugefügt hat. Bist du jetzt zurückgekehrt, um es noch einmal zu versuchen? Ein Kater ohne Nachkommen ist kein Kater, nicht wahr, Schwätzer? Und wie armselig: ein Herrscher ohne Untertanen.«
Im Apfelbaum vor Serrano bewegten sich ein paar Blätter. Beiläufig schlenderte er zu ihm hinüber. »Aber weißt du, worum ich mich sorge? Um dein Alter. An Bosheit hast du, wie man sieht, nichts eingebüßt, wie steht es jedoch mit der Potenz? Fünfzehn Jahre sind nicht eben wenig für einen Kater auf Freiersfüßen. Hast du dir nie ausgemalt, wie es wäre, eine der Perserinnen zu besteigen und dann jämmerlich zu versagen? Oder aber, dich kraft deiner senilen Sturheit in sie zu drängen, um danach zu erkennen, dass dein Samen nichts mehr wert ist?«
Er war jetzt unter dem Baum. Das Rascheln hatte aufgehört. »Der Gedanke ist weniger abwegig, als du glaubst. Denn wie ich von Balthas hörte, hattest du vor deiner Vertreibung Umgang mit einigen Weibchen aus dem Viertel. Sie beklagen bis heute, ihre Ehre an dich verloren zu haben, hingegen kam mir nie etwas über Nachwuchs zu Ohren. Keine stumpfschwänzigen, schieläugigen Bastarde, die man auf Meilen erkannt hätte.« Serrano brach ab, weil ihm plötzlich ein Bild vor Augen rutschte. Ein torkelndes Junges mit kurzem Schwanz, das auf Bismarcks Grab pinkelte. Es hielt ihn nur einen Wimpernschlag lang gefangen. Lange genug indes, um den Sprung aus der Baumkrone zu verpassen.
Serrano ging zu Boden. Ein kaltes Brennen breitete sich von seinem Hals abwärts aus und tauchte die Umgebung für einen Moment in Dunkel. Als er wieder zu sich kam, brannte es auch in seinen Lenden.
»Entschuldige, dass ich deinen Vortrag unterbreche«, sagte eine ruhige Stimme neben seinem Ohr. »Aber er beginnt mich zu ermüden. Außerdem war er geschmacklos, was mich ärgert. Und nicht
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