Katzenmond
Pathologin«, fuhr Liebermann fort, »um zu begreifen, dass das arme Ding an Gift gestorben ist.« Er deutete auf Überreste einer gelblichen Kruste am Maul der Katze und ihre Zunge. »Irgendjemand wird sie gefunden und hierhergebracht haben, wo man Abfälle entsorgt. Nicht besonders feinfühlig, aber nachvollziehbar.«
Wobei es, dachte er im selben Augenblick, einfacher gewesen wäre, sie in der Nähe des Fundortes zu verscharren, als sie durch die Gegend zu schleppen. Es sei denn, der Kompost oder seine Umgebung war mit dem Fundort identisch. Womit sich die Frage nach der Tüte stellte. Liebermann tastete nach seinem Block, aber er ließ ihn stecken, denn gleich darauf kam ihm die Antwort. Der Finder hatte die blaue Tüte eben gerade in der Tasche gehabt. So etwas kam vor. »Tja, das war’s dann. Ich muss nach Hause. Wenn du willst, kannst du mitkommen.«
Serranos Schwanz begann rhythmisch den Boden zu klopfen.
»Wag es nicht!«, warnte ihn Liebermann. »Du würdest den Kürzeren ziehen.«
Eine Weile standen sich Kater und Kommissar lauernd gegenüber, dann gab Serrano seine geduckte Haltung plötzlich auf.»Na also«, sagte Liebermann erleichtert. »Ich freue mich zu sehen, dass du lernst.«
Maja riss sich ärgerlich ein Büschel Fell aus der Seite. Es war schon das zweite, und Serrano bekam langsam Angst, dass sie bei seinem Abschied nackt dasitzen würde. »Was hast du denn erwartet? Dass dein Menschenfreund sich mit Feuereifer an die Aufklärung von Krümels Tod macht?«
»Er ist nicht mein Freund. Trotzdem hat er mir schon einmal geholfen.«
»In seinem eigenen Interesse, wenn ich dich daran erinnern darf. Ich tu dir ungern weh, Serrano, aber so wie ich es sehe, bist du einer romantischen Idee aufgesessen.«
Serrano schwieg.
»Davon abgesehen: Was hätte er deiner Meinung nach tun sollen?«
Ein empfindlicher Punkt. Hatte er wirklich geglaubt, dass Liebermann Krümel mitnehmen würde, wie seinerzeit Aurelia, um ihm einige Tage darauf zu erklären, wie sie gestorben war? Und wozu? An Krümels Todesursache bestand kein Zweifel. Nur an den Umständen.
»Die Tüte«, sagte er. »Er hätte zum Zweiradhändler gehen können, um …«
»Na was«, knurrte Maja. »Ihn in den Nacken zu beißen? Noch einmal, damit du es endlich kapierst: Dein Mensch schert sich einen Dreck um unsere Angelegenheiten.«
»Ist gut, ich hab’s verstanden.«
»Hoffentlich«, sagte Maja milder und leckte sich über den Pelz, um ein paar lose Haare zu entfernen. »Außerdem ist nicht gesagt, dass der Zweiradhändler Krümel auf dem Gewissen hat. Eine Tüte ist kein Beweis.«
»Der Händler hat eine ganze Kiste davon.«
»Auch kein Beweis. Du weißt so gut wie ich, dass Tüten einEigenleben führen. Sie gehen von Hand zu Hand. Was sagt dir, dass Krümel von der ersten hineingesteckt wurde?«
»Die Wahrscheinlichkeit«, entgegnete Serrano. »Außerdem hält der Händler junge Katzen in seinem Laden. Warum in aller Welt sperrst du dich so gegen das Offensichtliche?«
Majas Augen blitzten auf, dann schloss sie sie und verharrte eine Weile bewegungslos.
»Es ist eine Frage des Instinkts«, sagte sie dann und begann, Handschuhe nach Farben zu sortieren. Serrano fiel auf, dass die blauen deutlich in der Überzahl waren. Als hätte sie es auch erkannt, fegte sie die Haufen plötzlich wieder durcheinander. »Und mein Instinkt sagt mir, dass einer, der junge Katzen in seinem Haus beherbergt, keine Katzen umbringt.«
»Mir sagt er das Gegenteil«, beharrte Serrano. »Krümel ist die Mutter der Jungen, und sie ist tot.«
»Hast du sie gesehen, diese Jungen?«
»Noch nicht.«
»Woher willst du dann wissen, dass es ihre sind?« Maja schüttelte unwillig den Kopf. »Wenn du dich zuweilen ein wenig mit Menschen beschäftigen würdest, Serrano, würdest du feststellen, dass es zwei verschiedene Sorten gibt.«
»Das ist mir aufgefallen.«
»Ich meine nicht Männchen und Weibchen. Sondern die, die Katzenjunge aufziehen, und andere, die es nicht tun.«
»Aha. Sag mir, worin deiner Meinung nach der gewaltige Unterschied zwischen diesen beiden Sorten besteht.«
Maja seufzte. »Darin, dass Menschen, die Katzen aufziehen, eine gewisse Zärtlichkeit für sie entwickeln. Und ich gehe davon aus, dass selbst Menschen ihre Liebe nicht zum Ausdruck bringen, indem sie das geliebte Wesen ermorden. Du schnüffelst am falschen Loch, Serrano, und derweil erkaltet die Spur.«
»Es gibt keine andere«, sagte Serrano und dachte an die braunen Schuhe.
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