Katzenmond
erfunden haben, um ihre Zweckbündnisse aufzuwerten. Bismarck und Serrano haben sich maximal geduldet. Das ist schon viel für Katzen, aber mit Freundschaft hat es nichts zu tun. Allerdings«, fuhr Nico lächelnd fort, »haben wir ja jetzt unser eigenes kleines Forschungsobjekt. Und das schreit sich drüben aus Einsamkeit wahrscheinlich gerade die Seele aus dem Leib.«
Liebermann grinste scheel. »Kaum. Eine junge Frau unterrichtete mich soeben darüber, dass Katzen Einzelgänger wären.«
»Sie wurde widerlegt.«
»Erfolglos, wie man gehört hat.«
Liebermann ging um den Tisch und hockte sich hinter sie. Alsseine Arme sich um ihre Schultern schlossen, seufzte Nico. »Du bist gemein.«
»Ich will, dass du hierbleibst.«
»Guck an. Gestern hätte ich dich gern bei mir gehabt.«
»Da hattest du schon einen pelzigen kleinen Macho im Bett. Er sollte sich frühzeitig daran gewöhnen, dass er nicht alles kriegt, was er will«, sagte er, während seine Finger die zarte Stelle oberhalb ihres Schlüsselbeins suchten. »Außerdem haben die Mädchen ihn vorhin müde gespielt. Er wird wie ein Stein schlafen.«
»Katzen schlafen niemals wie ein Stein«, murmelte Nico. Doch an ihrer Stimme hörte Liebermann, dass ihr Widerstand gebrochen war.
Tief in der Nacht erwachte er von einem Kneifen im Arm.
Verwirrt blinzelte er ins Licht der Nachttischlampe. Neben ihm hockte Nico mit angezogenen Beinen.
»Was ist?«
Sie zuckte die Achseln. »Guck dir mal meine Decke an!«
Liebermann stellte fest, dass sie keine besaß. Sie klemmte als gestauchter Daunenball zwischen seinen Beinen. Beschämt gab er sie Nico zurück.
»Und warum soll ich das Fenster zumachen?«, fragte sie. »Ich dachte, du kannst mit geschlossenem Fenster nicht schlafen.«
»Habe ich das gesagt?«
»Ja.«
»Ich habe gesagt, dass du das Fenster zumachen sollst?«, fragte Liebermann bestürzt. Schon fühlte er die Luft im Raum stocken. Aber nein, die Läden standen offen. Statt ihm zu gehorchen, hatte Nico ihn geweckt.
»Ein Alptraum«, konstatierte er.
»Scheint so. Weißt du noch, worum es ging?«
»Nein«, sagte Liebermann erleichtert. »Ich hab ihn vergessen,und das verdanke ich dir.« Er wünschte sich, dass sie wegsah. »Vielleicht liegen mir die Yugoslavs schwer im Magen.«
»Hm.« Sie löschte das Licht. Einige Minuten verstrichen, in denen Liebermann darauf wartete, dass ihr Atem gleichmäßig wurde. Er überlegte, ob er danach aufstehen und ein Glas Wasser trinken sollte.
»Ich habe dich nicht wegen des Fensters geweckt«, sagte sie plötzlich in die Stille. »Sondern weil du mir die Decke weggezogen und an meinem Bauch rumgefummelt hast. Und dabei hast du gesagt: Die Haut ist noch nicht lose.«
»Was?«
»Am Ende hast du so sehr an mir gezerrt, dass es weh getan hat. Deshalb.«
Die Haut ist noch nicht lose? In einem Winkel von Liebermanns Gedächtnis glomm etwas auf. Er schloss die Augen, auch wenn er wusste, dass es nichts nutzte. Einmal von der Leine gelassen, raste seine Phantasie davon, bis sie ihr Ziel erreicht hatte, und sei es nur das, sich in einer Flut wirrer Bilder am Ende selbst zu ersäufen. Die Haut ist noch nicht lose. Diesmal hingegen ahnte Liebermann, was auf ihn zukam. Er konnte nichts tun, als sich zu ergeben, es vorbeiziehen zu lassen, um danach – vielleicht – noch ein paar Stunden zu schlafen.
Und er kam. Jetzt in der Nacht sah er noch bläulicher aus als vorhin am Ufer. Die klammen Lippen zu einem Grinsen gebogen, streckte er die Hände vor. Die Haut an den Fingern schrumplig bis zum zweiten Glied. Noch fest, wo es der Handwurzel entgegenging. Nicht lose.
Liebermann schmiegte sich enger an Nico. Ihre Wärme tröstete ihn, konnte aber nicht verhindern, dass sein krankhaftes Vorstellungsvermögen weiterhastete. Hinein in eine winzige, mit Büchern vollgestopfte Kajüte mit verschweißten Bullaugen. Vor einem schwebte das bläuliche Grinsen. Fenster zu!
Nico an seiner Seite bewegte sich leise. »Erzählst du es mir?«
Liebermann zuckte zusammen. Nie!
»Bitte«, flüsterte sie. »Ich kann nicht schlafen, wenn ich weiß, dass dich was bedrückt.«
Auch die Gerichtsmedizinerin Franziska Genrich verbrachte eine unruhige Nacht. Sie war spät nach Hause gekommen, wo sie ihre halbwüchsigen Kinder vor dem Fernseher und ihren Mann am Computer vorgefunden hatte. Keiner von ihnen äußerte sich zu ihrer Verspätung um drei volle Stunden. Ihr Mann hatte nur kurz von seinem Rechner aufgesehen, um sich sofort wieder seinem
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