Katzenmond
Ihm fiel ein, dass jeder, der den Zweiradladen betrat,die Gelegenheit hatte, ihn mit einer blauen Tüte wieder zu verlassen.
»Es muss eine geben«, entgegnete Maja ruhig.
Nico kam erst gegen sieben, als von den Yugoslavs nur noch eine übrig war. Liebermann hatte sie vor den Mädchen unter einer Käsescheibe auf seinem Teller versteckt. Er hielt sie ihr entgegen, ein rotes birnenförmiges Zeichen des Friedens.
»Danke.«
Sie sah verschwitzt aus. Eine Ponysträhne klebte quer über ihrer Stirn. Liebermann strich sie beiseite und fuhr mit dem Daumen über die Haut darunter. »Stress?«
Sie kaute gedankenverloren an ihrer Tomate.
»Traurig?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nur der Stress und die Traurigkeit anderer.«
»Worüber?«
»Einen Wolfsrachen. Die Tomate ist lecker. Woher hast du die?«
»Von einem Lehrer. Was ist ein Wolfsrachen?«
»Gaumenspalte. Sie verursacht einem meiner Kleinen Probleme beim Trinken, und die Mutter macht sich Vorwürfe, weil sie während der Schwangerschaft ein paarmal mit Sekt angestoßen hat. Es tröstet sie nicht, dass Gaumenspalten alle möglichen Ursachen haben können. Sie wird bis an ihr Lebensende jeden einzelnen Schluck verfluchen.« Sie zog sich ein Glas heran und füllte es mit Wein.
»Wie kommt der Wolf in den Namen des Rachens?«
Nico leerte das Glas in einem Zug. Ihre Trinkfestigkeit war eine der wenigen Eigenschaften an ihr, die Liebermann manchmal sorgten. Sie vertrug mehr als er, und wenn sie schwermütig war, kam es zuweilen vor, dass sie Wein mit Saft verwechselte.
»Hast du schon mal eine Gaumenspalte gesehen?«
»Ich weiß nicht.«
»Richtig platziert, teilt sie die Oberlippe in zwei Hälften. So wird ein Maul daraus. Kann man heute alles reparieren, und der Kleine ähnelt eigentlich auch mehr einem Kätzchen als einem Wolf. Apropos: Habt ihr Dienstag gefüttert?«
»Die Mädchen. Ich war nicht dabei, weil mir Serrano zu noch einer weiteren Katze verholfen hat. Einer toten diesmal.«
Nico verzog das Gesicht. »Wo?«
»Auf einem Kompost im Park.«
»Serrano hat dich in den Park geschleppt?«, fragte sie, während sie Salamischeiben auf ein Brot warf. »Damit du dir eine tote Katze ansiehst? Und was sagt der Bulle zu seinem Fund?«
»Rattengift.«
Als Nico die Stulle zusammenklappte, fiel ein Teil der Wurst heraus. Sie stopfte ihn wieder zwischen die Brotdeckel. »Bellin streut seit einer Weile Rattengift«, meinte sie nachdenklich. »Er streut es so großzügig, dass einen der Verdacht beschleicht, er hätte es nicht nur auf Ratten abgesehen. Allerdings hat er sich geschnitten, wenn er hofft, Serrano auf so billige Weise erledigen zu können.«
»Warum?« Liebermann versuchte, sich zu erinnern, ob ihm während der letzten Tage im Haus etwas aufgefallen war, das nach Gift aussah.
»Weil Katzen wie brandenburgische Bauern sind. Sie fressen nur, was sie kennen.«
Nico begutachtete ihr geflicktes Sandwich und biss hinein. Während sie kaute, beschlich Liebermann ein neuer Gedanke. War es das, was Serrano ihm hatte sagen wollen? Dass Katzen kein Rattengift fraßen, also am Tod dieser fremden Katze etwas faul war?
Er sann einen Moment darüber nach, dann drängte er den Gedanken zurück. Er hatte seine eigene Leiche am Hals. Dazu noch einen eifersüchtigen Kollegen und das Fingerbeilchen von Dr.Genrich. Das genügte für den Moment. Liebermann rieb sich die Augen.
Ihm gegenüber saß eine junge Frau, die er noch immer nicht vollends erschlossen hatte, obwohl er seit vier Monaten das Bett und einiges andere mit ihr teilte. Von den zierlichen Gliedmaßen mit den energischen Bewegungen bis hin zu ihrem Mädchengesicht mit dem durchdringenden Blick bildete Nico die lebende Summe aller denkbaren Gegensätze in einem einzigen Körper. Manchmal fühlte Liebermann sich davon überfordert. Manchmal überwältigt. Meistens hatte er nur Lust, sie in einen Schrank zu sperren, um sicherzugehen, dass sie ihm niemand wegnahm.
Indes hatte Nico ihr Brot aufgegessen und spülte mit Wein nach.
»Merkwürdig ist es schon«, sagte sie. »Ich meine, dass Serrano dem Tod eines Artgenossen auf den Grund geht. Im Allgemeinen gelten Katzen als Einzelgänger. Und Serrano schien mir da immer ein Musterbeispiel zu sein.«
Liebermann schraubte seine Gedanken widerwillig aus einer äußerst anregenden Träumerei. »Du vergisst Bismarck. Er und Serrano waren Freunde. Weit her kann es mit dem Einzelgängertum also nicht sein.«
»Ach, Freundschaft ist nur ein Wort, das Menschen
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