Katzenmond
sagte sie dann und legte auf.
Um sich die Unruhe bis zu Liebermanns Ankunft zu vertreiben, redete Serrano mit Bismarcks Geist. Zwar gelang es ihm immer seltener, ein klares Bild des Alten abzurufen, aber das störte ihn nicht. Nur die neue Art ihrer Kommunikation machte ihm zu schaffen. Da der vergeistigte Bismarck keinen Mund besaß, war er auf eine abstrakte Sprache verfallen, die Serrano nur schwer verstand. Wie sollte er zum Beispiel den Kreiseltanz einer Bieneinterpretieren oder den zertretenen Hundehaufen vor seinem Zaun?
In der Hoffnung auf einen expliziteren Rat erzählte er Bismarck die Geschichte von Krümel. Er begann bei ihrem ersten Wurf, fuhr mit den Jungen und dem tragischen Ende in der blauen Tüte fort und endete bei der Pappkiste im Zweiradladen. Bismarck schenkte ihm darauf eine ringförmige Schneckenspur. Eine Weile später endlich kamen Liebermann und die Mädchen.
Liebermann warf dem Flieder auf der anderen Straßenseite einen bösen Blick zu. Er hoffte sehr, dass Serrano ihn bemerkte.
»Miri soll mit zu mir kommen«, sagte Zyra zum dritten oder vierten Mal.
»Heute nicht.«
»Doch.«
»Nein. Heute machen wir es umgekehrt.«
»Aber Dienstag hat Angst, wenn keiner da ist!«
Miri, die über anderes Erbgut als ihre Freundin verfügte, legte ein flehendes Lächeln auf und blickte unter halb gesenkten Wimpern zu ihrem Vater empor. »Wir könnten Dienstag auch zu uns holen.«
»Untersteht euch!«
Einen Moment später sah Liebermann entsetzt, wie die Augen seiner Tochter feucht wurden. »Na schön, füttert ihn meinetwegen«, seufzte er. »Aber dann gehen wir zu uns.«
Die Tränen trockneten so schnell, wie sie erschienen waren. Mit dem dumpfen Gefühl, gelinkt worden zu sein, folgte Liebermann den Mädchen über die Straße. Just in dem Moment, als sie die Haustür erreichten, schlängelte sich ein gestreifter Schatten aus dem Vorgarten.
»Serrano«, sagte Liebermann. »Willst du deinen Verwandten wieder abholen?«
»Er will ihn wahrscheinlich besuchen«, sagte Zyra und nestelte ihren Schlüssel vom Hals. Als sie ihn ins Schloss schob, drang aus der Kehle des Katers ein dumpfes Grollen. Unwillkürlich wich Liebermann ein Stück zur Seite. Ihm kam das letzte Mal in den Sinn, als Serrano auf diese Weise geknurrt hatte. Damals war es auf eine zerfetzte Hose hinausgelaufen.
Er entschloss sich zu einem Experiment, indem er einen Schritt zurückging. Das Knurren hörte auf. Er trat vor, es setzte wieder ein. Liebermann seufzte abermals.
»Geht zu eurem pelzigen Tyrannen«, sagte er zu den Mädchen. »Ungefähr in einer Viertelstunde hole ich euch ab.«
Eine Viertelstunde später stand Liebermann am Rande einer Kompostanlage und sah mit Befremden, wie Serrano grub. Ab und zu wich er stinkenden Erdklumpen aus. Er hoffte stark, dass er sich irrte. Dass der blaue Zipfel, der da gerade zum Vorschein kam, zu einem Schatz gehörte, den irgendein Kind hier verbuddelt hatte. Das Blau begann Raum einzunehmen und entpuppte sich bald darauf als Plastiktüte, die schon mal bessere Zeiten gesehen hatte. Im nächsten Augenblick sprang Liebermann mit einem erstickten Laut zurück.
Auch der Inhalt der Tüte hatte schon bessere Zeiten gesehen. Er war schwarz und haarig. Und tot. Serrano beendete seine Exhumierung.
»Nicht schon wieder«, nuschelte Liebermann in seinen Jackenärmel. Ein spärlicher Schutz gegen Verwesungsdämpfe. In olfaktorischer Hinsicht war der Haveltote heute Morgen deutlich rücksichtsvoller gewesen. Andererseits hatte die eingetütete Katze ihre Fäulnis in einer Umgebung begonnen, in der schon traditionsgemäß vor sich hin gemodert wurde. Da konnte man nicht viel erwarten.
Um die ekelhafte Angelegenheit möglichst schnell hinter sich zu bringen, beugte Liebermann sich halb über den Kadaver. Serranoschlug einen blauen Fetzen zurück. Ein Kopf wurde sichtbar. Liebermann taxierte ihn flüchtig.
»Danke«, sagte er, als der Kater unverdrossen weiterschlitzte. »Ich hab’s gesehen.«
Serrano hörte auf. Dann nahm er unvermittelt einen der Zipfel zwischen die Zähne und legte ihn auf den Kadaver zurück. Auf dieselbe Weise verfuhr er mit den anderen, bis die tote Katze annähernd wieder eingewickelt war. Er gab ihr einen sanften Stups.
»O nein!«, sagte Liebermann abwehrend. »Erwarte nicht, dass ich in Zukunft jede deiner Gespielinnen in die Pathologie schleppe. Pass lieber besser auf sie auf.«
Serranos Ohr legte sich flach an den Kopf. »Außerdem brauchen wir keine
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